Auf der Straße und im unwegsamen Wüstenterrain hat der Bentley Bentayga schon gezeigt, was er kann. Wie aber schlägt sich der britische Luxuskoloss auf Eis und Schnee? Wir haben es ausprobiert.
[+] Klasse Fahrleistungen, sehr gute Traktion, elektronische Wankstabilisierung, hohe Agilität, sicheres Fahrverhalten, Luxus pur im Innenraum
[-] Aktuell nur Stahlbremsen erhältlich, hoher Preis, Infotainment-Tasten nicht wertig
Mit dem Bentayga will Bentley das Segment der Luxus-SUV neu definieren. Auch wenn der Luxus im ebenfalls britischen Klassenbegründer Range Rover nicht viel kleiner ist, so setzt die Perfektion des Bentayga ebenso Maßstäbe wie der komplett neu entwickelte Zwölfzylinder in W-Bauform, der die aufgeladenen Achtzylinder mit kaum schlechteren Leistungsdaten trotzdem ausschauen lässt wie Schulbuben.
Die 447 kW/608 PS, mit denen der 2,4 Tonnen schwere Bentayga nebst 900 Nm maximalem Drehoment ab 1.350 U/min auf seine Konkurrenz losstürmt, beeindrucken weniger durch die schiere Leistungsentfaltung, als vielmehr durch ihre Laufruhe. Natürlich ist der Tatendrang des sechs Liter großen Doppelturbos bei einem Tritt aufs Gas spektakulär und die schwindelerregende Höchstgeschwindigkeit von über 300 km/h lässt einem an der Schulphysik ebenso zweifeln wie das Spurtpotenzial aus dem Stand auf Tempo 100 in 4,1 Sekunden.
Dabei krallt der britische Koloss aus Crewe seine 21 Zoll großen Winterreifen in den Tiroler Schnee, als wäre es griffiger Asphalt. Geht es schneller voran, sorgen in Millisekunden ansprechende 48-Volt-Stacks dafür, dass sich die Wankbewegungen auf ein erträgliches Maß reduzieren. "Das klappt dreimal so schnell, wie bei hydraulischen Systemen", sagt Entwicklungs-Chef Rolf Frech.
So können die Insassen den beeindruckenden Luxus des Bentayga in gewohnter Manier genießen. Das geschieht mit dem Radstand von 2,99 Metern am besten zu viert, denn die vollelektrische 2+2-Konfiguration nebst Sitzklimatisierung erscheint in dieser Liga weit standesgemäßer, als die Alternative, mit fünf oder gar sieben Insassen in dem britischen Allradungetüm zu reisen. Die optionale dritte Sitzreihe ist ein Entgegenkommen an den amerikanischen Markt mit seinen kaufkräftigen Soccermums, die sich nicht ausschließlich in Mercedes-Benz GLS oder Cadillac Escalade wiederfinden sollen.
Trotz allen Tatendrangs, gespenstischer Fahrleistungen und dem mächtigen W12-Triebwerk ist der Bentley kein echter Sportler. Das spürt man schon beim Beschleunigen - denn die unsichtbare Macht, die einen in die bequem konturierten Langstreckensitze presst, wird von keinem sonoren Brüllen untermalt. Das Triebwerk hält sich akustisch für die umgeschlagenen 608 PS und 900 Nm maximales Drehmoment etwas zu sehr zurück und selbst im Sportmodus ist trotz Klappensteuerung kaum mehr als ambitioniertes Brabbeln zu vernehmen.
Ähnlichkeiten zum noch sportlicheren Porsche Cayenne scheinen alles andere als zufällig
Da soll wohl noch Luft bleiben für weitere Versionen, zu denen neben einem leistungsstarken Achtzylinder-Diesel zu einem späteren Zeitpunkt auch eine Bentayga-Speed-Version mit bis zu 700 PS gehören könnte. Dann dürfte der Normverbrauch von 13,1 Litern Super auf 100 Kilometern jedoch noch schwerer zu realisieren sein, als ohnehin schon bei Standard-W12.
Wintertest des Bentley Bentayga in Schweden - Video: Bentley
Dabei gelingt es dem 5,15 Meter langen Bentayga auch auf Eis und rutschigem Schnee, sein gefühltes Gewicht im Fahrbetrieb gekonnt zu reduzieren. Ähnlichkeiten zum noch sportlicheren Porsche Cayenne scheinen dabei alles andere als zufällig - auch wenn die Lenkung des W12 zwar präzise, jedoch deutlich leichtgängiger ist, als man es bei dem sportlichen Anspruch erwartet. Die einzelnen Fahrprogramme steuert der Fahrer über einen Drehregler auf dem breiten Mitteltunnel an. "Im Gegensatz zu einigen anderen Fahrzeugen auch von Bentley ist der Bentayga ein Selbstfahrerauto", sagt Rolf Frech, "das haben wir berücksichtigt."
Doch auch wenn der Bentayga trotz des Übergewichts in schnellen Kurven ebenso brilliert wie auf langen Passagen mit Landstraßen oder Autobahnen - viele werden ihn als Alltagsauto nutzen. Und da steht lässiges Fortkommen ganz oben auf der Wunschliste.
Etwas edler könnten sich die analogen Instrumente und der Multifunktionsbildschirm mit Bordcomputer, Navigation oder Soundsystem präsentieren. Kommoder als mit dem im Innenraum edelst verarbeiteten Luxus-SUV kann man jedoch kaum reisen, wenn man nicht in einer reinen Luxuslimousine unterwegs sein möchte.
So viel Exklusivität und die Neudefinition einer Fahrzeugklasse hat ihren Preis. Der liegt nicht nur beim Einstand von 208.500 Euro, sondern findet sich in den zahllos möglichen Individualisierungen - das hauseigene Kreativprogramm Mulliner lässt grüßen. Dann steht weit über 270.000 Euro kaum etwas im Wege.
"Luxus pur - und das nicht nur in den heißen Wüsten der reichen arabischen Emirate. Auch im Schnee von St. Moritz und Co. funktioniert das Konzept." Stefan Grundhoff