Autobauer bauen Autos. Soweit, so klar. Doch bevor sie bauen können, wird geforscht. Und das in nahezu alle Richtungen. Dabei spielen die jeweilige Nische und der Einsatzort der Fahrzeuge eine übergeordnete Rolle: Ferrari etwa forscht in Richtung Sportwagen-Optimierung und nicht gen Offroad-Perfektionierung. Bei Jaguar Land Rover (JLR) verhält es sich ähnlich. Nur, dass die Fahrzeuge der Briten ein viel breiteres Einsatzspektrum abdecken.
Im Testcenter von JLR im meist feuchten Gaydon, 150 Kilometer nordwestlich von London, stehen und fahren Supersportler und Offroadkönige Tür an Tür. Da wundert es also nicht, dass sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung geforscht wird. Dem Trend angemessen "entwickelt Jaguar Land Rover, wie auch unsere Konkurrenten, autonome Technologien", sagt Adrian Hallmark. Der Strategie-Chef von JLR ist derjenige, der die Richtung vorgibt.
Allen sportlich ambitionierten Fahrern und denjenigen, die aus Prinzip das Lenkrad niemals aus der Hand legen wollen, verspricht er: "Ein zukünftiges, intelligentes Fahrzeug wird immer Spaß machen und nur dann das Fahren übernehmen, wenn der Fahrer es auch möchte. Wir wollen nicht einfach nur den Menschen ersetzen."
Eines der wichtigsten Kriterien bei der Entwicklung künftiger Technologien ist laut Hallmark "die Verbesserung des Verkehrsflusses und der Luftqualität sowie die Vermeidung von Unfällen." Dabei spielt die interaktive Vernetzung eine immer größere Rolle. "Stellen Sie sich vor, hinter einer Kurve steht ein liegengebliebenes Fahrzeug oder sonst ein Hindernis. Und jetzt stellen Sie sich vor, ein mir vorausfahrendes Fahrzeug meldet diese Gefahrensituation automatisch an mein Fahrzeug weiter, das dann mich davor warnt und gleichzeitig die Geschwindigkeit entsprechend anpasst. Und das nicht nur auf der normalen Straße, sondern auch im Gelände", schwärmt er.
Dass die derzeit noch einzelnen Forschungsprojekte irgendwann einmal zusammen ein großes Gesamtsystem bilden sollen, liegt auf der Hand
Dass dies keine Zukunftsspinnereien a la Hollywood sind, sondern schon heute erfahrbare Assistenten wie das Forschungsprojekt Over the Horizon, präsentiert JLR nun voller Stolz. "Die Jenseits des Horizonts-Technologie kann Staus und Unfälle vermeiden. Zur richtigen Zeit über relevante Informationen zu verfügen, erlaubt es sowohl dem Fahrer als auch dem autonomen Fahrzeug, bessere Entscheidungen zu treffen und so die Sicherheit zu erhöhen", erklärt Tony Harper, Entwicklungschef bei JLR.
Ein sich von hinten nähernder Rettungswagen kann zudem vom Emergency Vehicle Warning-Assistenten im hochauflösenden Infotainmentsystem dargestellt werden. Die Bildung einer Rettungsgasse kann dann nicht nur den Fahrer selbst und die unmittelbar in der Nähe befindlichen Verkehrsteilnehmer retten, sondern auch Unfallopfer in weiter Entfernung. Dass die derzeit noch als einzelne Forschungsprojekte behandelten Assistenten irgendwann einmal zusammen ein großes Gesamtsystem bilden sollen, liegt auf der Hand.
Die vor allem fürs Gelände gedachte Fahrzeug zu Fahrzeug-Kommunikation Off-Road Connected Convoy teilt den in einer Gruppe miteinander vernetzten Fahrzeugen zahlreiche Informationen der jeweils anderen unmittelbar mit. Dazu gehören neben Verkehrshindernissen auch Fahrzeugposition, Radschlupf und Veränderung der Aufhängungshöhe sowie der Achsverschränkung.
"Stoppt ein Fahrzeug, werden die anderen Autos im Konvoi alarmiert - falls beispielsweise die Räder eines Fahrzeugs in eine Vertiefung geraten oder an einem schwer zu überwindenden Felsblock ins Rutschen kommen", sagt Tony Harper. Damit ist auch klar, dass dieses System sowohl im normalen Straßenverkehr als auch im Gelände zum Einsatz kommen wird.
Das Fahrzeug scannt den Untergrund in Lenkeinschlagsrichtung und passt das Tempo dementsprechend an
Ein wichtiger Sensor, der in naher Zukunft das Fahrzeug zusätzlich mit Daten füttert, kommt aus dem Forschungsprojekt Oberflächenidentifizierung und 3D-Streckensesorik. Das aus Ultraschall-, Radar- und LIDAR-Sensoren mit hochmodernen Kameras kombinierte System ermöglich dem Fahrzeug einen 360 Grad-Rundumblick. Selbst bei Regen und Schnee ist es dank der Sensoren in der Lage, die Oberflächencharakteristik genau zu bestimmen.
Mit einer Reichweite von bis zu fünf Metern vor dem Fahrzeug ist diese Technik zwar noch nicht für allzu hohe Tempi zu gebrauchen - doch die spielen im Gelände ohnehin nur selten eine Rolle. Im Zusammenspiel mit der Geländespezifischen Geschwindigkeitsanpassung braucht der Fahrer dann nur noch die Richtung vorgeben. Das Fahrzeug scannt den Untergrund in Lenkeinschlagsrichtung und passt das Tempo dementsprechend an. Dabei können sich Wasserdurchfahrten, Rasen und tiefer Schlamm abwechseln - dem System macht das gar nichts und der Fahrer kann seine Füße gemütlich in den Fußraum stellen.
Einen sehr leicht verständlichen Nutzen hat der Overhead Clearance Assist. Dabei geht es schlicht um die maximale Durchfahrthöhe. Die kann - sollte eine Dachbox oder ein Fahrrad aufs Dach montiert worden sein - schnell mal vergessen werden. Der Assistent misst anhand einer Stereo-Kamera die maximale Durchfahrthöhe der vor dem Fahrzeug liegenden Höhenbeschränkung und gleicht sie mit der zuvor eingegebenen Gesamthöhe des Fahrzeugs inklusive Aufbauten ab. Zusammen mit einem Bluetooth basierten Schlüssel- und Geldbeutelfinder-Anhänger werden vor allem stark gestresste Fahrer wieder ruhiger fahren und schlafen können.
Für noch ruhigere und sicherere Fahrmomente sorgt der Baustellen-Assistent. Er nutzt eine nach vorn gerichtete Stereokamera, um eine dreidimensionale Ansicht des voraus liegenden Streckenabschnitts zu erzeugen. Dabei ist das System in der Lage, alles mit einer Höhe ab rund 30 Zentimetern als Hindernis darzustellen. "Bei dichtem Verkehr durch Baustellen zu fahren kann für viele eine stressige Erfahrung sein - vor allem, wenn die Spuren eng sind und auf der Gegenfahrbahn verlaufen. Unser Prototyp hält das Fahrzeug in der Mitte der engen Spur. In Zukunft soll das Fahrzeug auch autonom durch Baustellen manövrieren", verspricht Tony Harper.
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