Lucid versucht mit seiner elektrischen Luxuslimousine einen schwierigen Spagat. Das Basismodell mit Hinterradantrieb kostet in den USA nicht einmal 80.000 Dollar, die Topversion kratzt dagegen bereits an der 180.000-Dollar-Marke. Ob die Kunden das mitmachen, muss sich zeigen. Denn zunächst einmal gibt es nur eine Karosserievariante in vier Ausstattungsversionen. Seitdem Lucid seinen knapp fünf Meter langen Air enthüllt hat, wird das sehenswerte Design gefeiert. Dafür verantwortlich: Derek Jenkins. Und genau der nimmt uns an diesem Nachmittag mit auf eine Testfahrt. "Bei einem Start-Up wie wir es sind, ist man natürlich immer etwas mehr als nur der Designer", sagt Derek und biegt vom Hotelparkplatz ab: "Natürlich ist man besonders eng in die Entwicklung eingebunden."
Der Lucid Air ist eines der Vorserienmodelle in der mittleren Grand-Touring-Ausstattung. So dürften sich wohl auch viele Kunden ihren elektrischen Air konfigurieren: sehr gut, aber nicht voll ausgestattet und mit Allradantrieb bereits rund 800 PS stark. Damit ist nicht Schluss, denn die Topversion namens Dream Edition leistet gigantische 1.080 PS, die über die beiden Achsen auf den Boden gebracht werden. Die Einstiegsversion startet bei knapp unter 80.000 Dollar und hat ebenfalls schon 480 PS. Darüber rangiert der Air Touring mit 620 PS. Doch es geht Lucid, beheimatet im nördlichen Kalifornien nicht weit von der Tesla-Produktion in Fremont, nicht nur um Power. "Die Reichweite ist für uns essentiell", erläutert Derek Jenkins, "darauf haben wir beim Design geachtet und so bringt es der Lucid Air letztlich auf einen cW-Wert von 0,21." Die Windgeräusche sind denn auch sowohl auf der Beifahrersitz als auch im opulenten Fond besonders gering. Von außen so groß wie eine Mercedes E-Klasse - von innen aber auf dem Niveau der S-Klasse. So lässt es sich leben.
Anders als beim Mercedes EQS lassen sich auf Knopfdruck auch Seiten- und Heckfenster verschatten. Heute bei Temperaturen jenseits der 30 Grad in der Region Monterey nicht unangenehm. Schon ärgerlicher, dass sich das aufpreispflichtige Panoramadach, das sich je nach Modellvariante auch weit über die Köpfe der Frontinsassen zieht, nicht auch elektrisch bedecken lässt. Das Platzangebot ist gerade im Fond durch den 2,97 Meter langen Radstand üppig. Die klimatisierten Ledersitze sind bequem und haben auch in der zweiten Reihe Langstreckenkomfort. So üppig die Beinfreiheit ist: Um den Kopf geht es enger zu. Wer will, der kann sich mit seiner Lieblingsmusik aus 21 Boxen besäuseln lassen. Der Kofferraum fasst überschaubare 456 Liter - gut, dass der vordere Laderaum auf zwei Ebenen weitere 202 Liter schluckt.
Derek erläutert während der Fahrt die wichtigsten Bedienungen: "Wir brauchen hier kein Head Up - alles ist perfekt im Blick. Doch der Platz ist vorgehalten für andere Modelle, etwa einen SUV." Die Instrumente, 34 Zoll groß und leicht um den Fahrer gewölbt, erinnern etwas an den Porsche Taycan, sind jedoch aufgeräumter und besonders die Bedieninsel für Licht und Sicht links in der Tafel löst vieles perfekt. Die meisten Funktionen lassen sich über einen großen Touchscreen in der Mittelkonsole bedienen, der auf Wunsch jedoch ins Armaturenbrett hineinfährt und große Ablagen darunter freigibt - ebenso schick wie praktisch gelöst. Der Rest der Funktionen läuft per Sprache oder Drehregler am reduzierten Lenkrad.
Bei der Beschleunigung kann man sich in den bequemen Ledersesseln kaum bewegen, so heftig tritt der elektrische Amerikaner an
Derek hat ein Stück freie Straße gefunden und beschleunigt den Lucid Air Grand Touring heftig durch. Die Tachoanzeige lässt einem den Mund trocken werden - zum Glück kein Officer in Sicht. Lucid verzichtet bei seinem Air auf eine Luftfederung und will die Komfortansprüche seiner Kunden allein mit elektronischen Dämpfern wegfedern. Bei der welligen Piste und den bisweilen zerborstenen Straßen hier am Pazifik funktioniert das trotz der stattlichen 20-Zöller schon ganz gut. Die kleinen Modelle haben 19-, das Topmodell, der Dream Edition, 21-Zoll. Bei der Beschleunigung kann man sich in den bequemen Ledersesseln kaum bewegen, so heftig tritt der elektrische Amerikaner an. Kaum zu glauben, dass die 1.080-PS-Variante noch wilder beschleunigen soll. Dort soll der Spurt von 0 bis Tempo 100 in unter drei Sekunden absolviert sein. Nicht, dass das in der Realität jemanden wirklich interessieren würde - aber es liest sich imposant und mit dem Spurtpotenzial wollen nahezu alle Elektrofahrzeuge ihre Sportlichkeit nach außen zeigen.
Während gerade die deutschen Hersteller ihre Elektromobile früh einbremsen, sieht das beim Lucid Air anders aus. Derzeit sind auch für Europa 168 mph/270 km/h Spitze im Gespräch. Dagegen soll die maximale Reichweite bei rund 750 Kilometern liegen, bevor der Lucid Air Grand Touring wieder an die Ladesäule muss. Und selbst die Basisvarianten sollen mehr als 600 Kilometer mit einer Ladung schaffen. Mit seiner 900-Volt-Archtiketur soll es gerade einmal 20 Minuten dauern, ehe in das 113 kWh-Akkupaket mehr als 450 Kilometern nachgeladen werden. Dafür, dass der über 2,3 Tonnen schwere Air an allen Ladepunkten möglichst schnell nachtanken kann, sorgt eine sogenannte Wunderbox, die für maximales Ladetempo sorgt. Wer sich dieses Jahr noch einen Lucid Air reserviert, der darf drei Jahre lang kostenlos in den ganzen USA laden. Auch das dürfte ein paar Kunden locken, die die Verbrennerwelt verlassen wollen.
Die gigantischen Motorleistungen ermöglichen Elektromotoren, die deutlich kleiner sind als bei vielen Konkurrenten und von Lucid nicht nur selbst entwickelt, sondern auch selbst gefertigt werden - in der aktuell einzigen Produktion, rund eine Stunde südlich von Phoenix/rizona. Bei einem Gewicht von kaum mehr als 70 Kilogramm leistet der Elektromotor bis zu 670 PS - pro Achse. Jetzt muss nur noch der Marktstart in den USA gelingen und dann geht es nach Europa.
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