Den Ellbogen lässig aus dem Fenster gehängt, die riesige getönte Sonnenbrille auf der Nase und fetzige Rhythmen im Autoradio: Wer in den wilden 70ern ein echter Kerl sein und mit seinem neuen Schlitten angeben wollte, tat so manches – außer sich anzuschnallen. Obwohl 1976 die Gurtpflicht eingeführt wurde, waren Deutschlands Autofahrer ausgesprochene Gurtmuffel. Manche fanden ihn zu mädchenhaft, andere zu unbequem, und viele hatten sogar Panik, nach einem Crash im Auto gefangen zu sein.
Noch Anfang der 80er Jahre ließ jeder dritte Autofahrer die Finger vom Gurt. Kampagnen mit Sprüchen wie "Gurt-Klick immer" oder "Erst gurten, dann starten" verpuffen ohne große Wirkung, denn Gurtmuffel hatten keine Strafen zu befürchten. Erst als ab August 1984 die Gurtverweigerung mit einer Geldbuße von 40 D-Mark geahndet wurde, stieg die Anschnall-Quote. In älteren Autos konnte man freilich weiter "oben ohne" unterwegs sein, denn erst ab 1974 mussten alle Neuwagen ab Werk Gurte an Bord haben.
Bei Volvo wurde schon 1959 das Gurt-Zeitalter eingeläutet. Der schwedische Konstrukteur Nils Bohlin, der beim Flugzeugbauer Saab Schleudersitze entwickelt hatte, war zu Volvo gewechselt und ließ sich dort den Dreipunktgurt patentieren. Im August 1959 präsentierte Volvo sein Mittelklassemodell P 120 (Amazon) mit diesem System. Die Amazone war damit der erste Pkw der Welt, der serienmäßig Dreipunktgurte an Bord hatte.
Lederriemen als Lebensretter
Die Idee des Sicherheitsgurtes freilich ist älter als Volvos Durchbruch vor 50 Jahren. Selbst im Kutschenzeitalter dachte man schon an Schutzmaßnahmen: "1885 wurde dem Amerikaner Edward J. Claghorn ein Patent für einen Sitzgurt erteilt. Sein Landsmann, der Rennfahrer Walter C. Baker, konnte 1902 praktische Erfahrungen beisteuern, weil er sich vor einem Weltrekordversuch mit einem Lederriemen am Sitz festgeschnallt hatte. Der rettete ihm beim spektakulären Überschlag seines Elektrorennwagens bei 125 km/h das Leben", weiß ein Sprecher des Auto- und Technik-Museums Sinsheim zu berichten. Das Museum zeigt aus Anlass des Jubiläums eine der ersten "Amazonen" mit Dreipunktgurt in seiner Ausstellung.
Schon vor Nils Bohlin kämpften immer wieder enthusiastische Automobilentwickler für den Lebensretter. Einer der berühmtesten war Preston Tucker, der 1948 seinen nur 51-mal gebauten eleganten Traumwagen Tucker Torpedo mit Gurten ausrüstete. Die großen US-Autohersteller waren von solchen Konzepten zunächst wenig begeistert. Ein Sicherheitsgurt suggerierte schließlich, dass Autofahren per se unsicher ist – ein Eindruck, den die Straßenkreuzer-Produzenten auf jeden Fall vermeiden wollten.
Zaghafte Versuche, die Fahrer für einen Gurt zu erwärmen, stießen außerdem auf wenig Gegenliebe bei der Kundschaft. 1955 zum Beispiel bot Ford für seinen Sportwagen Thunderbird optional Gurte an, doch kaum jemand wollte sie haben. Die 50er Jahre wurden das Sinnbild einer Zeit, in der man Sicherheit beim Autofahren vor allem mit viel Blech in Verbindung brachte. Größer als die Angst, beim Crash aus dem Auto geschleudert zu werden, war die, sich bei einem Feuer nicht aus dem Gurt befreien zu können. Zudem waren frühe Gurtsysteme alles andere als komfortabel, man musste sie bei jedem Fahrerwechsel neu einstellen.
Airbag ohne Gurt nützt wenig
1958 baute Mercedes-Benz im Roadster 300 SL gegen Aufpreis Sicherheitsgurte ein. Später konnte man sie für alle Mercedes-Modelle bestellen. Allerdings handelte es sich nur um Zweipunkt-Beckengurte – der Fahrer konnte beim Crash zwar nicht mehr aus dem Auto geschleudert werden, doch ohne den Halt des Oberkörpers gab es kaum Schutz vor schweren Kopf- und Brustkorbverletzungen, die bei Verkehrsunfällen die häufigsten Todesursachen sind. 1973 rüstete Mercedes seine Autos serienmäßig mit Dreipunkt-Automatikgurten aus, die dank automatischer Aufrollfunktion komfortabler waren als frühere Systeme. 1979 waren beim Daimler Gurte auch im Fond serienmäßig an Bord.
Heute fährt statistisch gesehen nur jeder zehnte ohne Gurt. In modernen Autos sorgen Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer für einen optimierten Schutz bei Unfällen. Zusätzlich sorgen zum Beispiel bei Volvo und Mercedes spezielle Kopfstützen für Sicherheit, die die Gefahr einen Schleudertraumas verringern.
Die beiden Lebensretter Gurt und Airbag sind neben Knautschzonen die wichtigsten passiven Schutzmaßnahmen im Autobau, aber sie funktionieren nur Hand in Hand: Wer sich nicht anschnallt und den Gurt nicht in der korrekten Höhe einstellt, hat von Airbags im Zweifel herzlich wenig. Eine Untersuchung der deutschen Versicherungswirtschaft GDV zur Folge erhöht der Gurt bei einem Crash die Überlebenschance um 60 Prozent, der Airbag allein nur um 15 Prozent.
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