Eine verlassene Landstraße zwischen München und Dachau. Es ist weit nach 22 Uhr und stockfinster, als auf dem zentralen Infobildschirm plötzlich ein gelbes Warndreieck blinkt. In rund 100 Metern Entfernung hat das Nachtsichtsystem in der pechschwarzen Dunkelheit einen Fußgänger ausgemacht. Glück für den Sparziergänger – BMW-Entwicklungsleiter Artur Ruß strahlt. Sein schwarz gekleideter Kollege Sebastian Orecher kann schon nach ein paar Tests wieder wohlbehalten ins Auto einsteigen. Denn genau so hatte sich Artur Ruß, bei BMW verantwortlich für die Entwicklung von Kamera-Assistenzsystemen, den Einsatz seines neuesten Spielzeugs vorgestellt.
Diesmal ist das magische Auge noch in einem Testfahrzeug der 5er-Reihe verbaut. Doch wenn der neue 7er BMW auf dem Pariser Salon Anfang Oktober seine Publikumspremiere feiert, dann können sich die gut betuchten Kunden über ein neues Stück automobiler Zukunftstechnik freuen.
Nachtsysteme sind nicht neu. In die Automobilbranche hielten sie vor rund drei Jahren im aktuellen 7er BMW und der Mercedes S-Klasse Einzug. Mit dem neuen 7er BMW kommt nun die zweite Generation. "Unser neues System kann deutlich mehr als bisher. Es spürt in einer Entfernung von bis zu 100 Metern trotz Dunkelheit den Fußgänger auf, der sich im Gefahrenbereich vor dem Fahrzeug befindet", erklärt Artur Ruß.
Möglich wird das ganze durch ein Wärmebild. Im Vergleich zum Vorgängermodell gibt es eine weiter entwickelte Kamera mit besserer Auflösung und eine Hightech-Bildverarbeitung mit Objekterkennung. Das gelbe Warnsignal im Multifunktions- und Head-Up-Display meldet sich dann, wenn eine Kollisionsgefahr zwischen Auto und Fußgänger besteht.
Sicher auf dem Bürgersteig
Fährt man auf der Straße an Personen auf dem sicheren Bürgersteig vorbei, so werden diese nur gescannt und in sanft gelb gefärbt. "Diese Technologie können wir nur mit dem Wärmebildsystem umsetzen. Andere Systeme würden hier an ihre Grenzen geraten", sagt Ruß.
Die Erprobung war technisch aufwendig. Neben den umfangreichen Tests in den Entwicklungsabteilungen selbst wurden mit verschiedenen Testfahrzeugen mehr als 250.000 Kilometer an Nachtfahrten zurückgelegt. Jetzt ist das System reif für den Serieneinsatz.
Doch der neue 7er BMW bietet noch mehr. Zahlreiche Navigationssysteme zeigen auf dem Bildschirm bereits eingespeicherte Tempolimits oder stationäre Blitzanlagen an. Der neue 7er kann als erstes Serienfahrzeug Verkehrszeichen wirklich lesen. "Das Kartenmaterial der Navigationssysteme beinhaltet nur rund 65 bis 70 Prozent aller Tempolimits", sagt Artur Ruß. "Vor allen Dingen sind diese Daten rein statisch und berücksichtigen somit keine Baustellen oder Verkehrsbrücken auf Autobahnen mit variablen Tempolimits. Das ist bei uns anders."
Eine kleine Kamera hinter dem Innenspiegel liest zielsicher die Verkehrszeichen, die am Wegesrand stehen. Erblickt das Wide-VGA-Kamerauge eine solche Tempolimit-Anzeige, so zeigt es dieses im Abgleich mit dem Kartenmaterial auf dem Festplattennavi des neuen 7er BMW an und warnt den Fahrer vor einer etwaigen Tempoüberschreitung.
Wiener Konventionen
Gelesen werden können Verkehrsschilder in Ländern, die der Wiener Konvention beigetreten sind. Diese Staaten haben sich darauf geeinigt, dass ein Tempolimit charakteristisch aus einem runden Schild mit rotem Kranz und einer Zahl für die Geschwindigkeitsbegrenzung besteht. In den meisten Ländern kann das neue 7er System also mit den nahezu hellseherischen Fähigkeiten glänzen. Anders sieht es aber zum Beispiel in den USA aus – dort gibt es keine genormten Temposchilder.
Erste Ansätze für ähnliche Systeme gab es bereits vor 10 bis 15 Jahren. Doch Kameratechnik und Computerprozessoren sind erst jetzt soweit, dass die während der Fahrt aufgenommenen Bilder rasend schnell und ohne Fehler verarbeitet werden können. Ist der Scheibenwischer eingeschaltet, kann das System zum Beispiel trotzdem auch ein Tempolimit bei Nässe erkennen.
"Wir werden es dabei belassen, den Fahrer in einem Infodisplay nur auf das Tempolimit hinzuweisen", sagt Ruß. Eingriffe in die Elektronik oder gar eine Bremsung werde es nicht geben. Der Fahrer bleibt also eigenverantwortlich.
Schulstunde
Trotz Hightech geht der neue 7er noch in die Schule. Fährt man etwa an einem Ortseingangsschild vorbei in eine geschlossene Ortschaft, so muss das System auf das Onboard-Kartenmaterial zurückgreifen. Die gelben Ortsschilder kann es zumindest in der ersten Generation noch nicht lesen.
"Natürlich gab es bei der Entwicklung auch Probleme", sagt Artur Ruß. "So hat uns die Schrift der Schweizer Temposchilder lange beschäftigt. Zudem mussten wir für eine Vielzahl von Durchläufen gewährleisten, dass das Kamerasystem nicht etwa auf die Tempolimits reagiert, die auf Planen von vorausfahrenden LKW gemalt sind."
Starkregen, eine tief stehende Sonne oder Nebel machen dem System übrigens keine Probleme. Und im Dunkeln tut sich das Kameraauge wegen der geringeren Nebenreize sogar leichter als am Tage. Ruß: "Der Kunde profitiert in der Innenstadt, auf Autobahnen und Landstraßen gleichermaßen – besonders aber auf längeren Fahrten."
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