Der 9. Dezember 2005 war ein trauriger Tag für viele Londoner. Der rote Riese der Linie 159 (Marble Arch – Streatham) trat mit 20 Minuten Verspätung seine letzte Fahrt an. Es war das Ende der legendären Routemaster-Doppeldeckerbusse im regulären Dienst für Londons Nahverkehr.
Ein halbes Jahrhundert lang hatte kein Bus einer Stadt so seinen Stempel aufgedrückt wie der Routemaster. Die kleine Fahrerkabine neben der Motorhaube, die zweiköpfige Besatzung – Fahrer und Schaffner - und vor allem die offene Plattform am Heck machten die roten Riesen unverwechselbar. Auch Londons neue Busse sind rot und doppelstöckig, doch dieses spezielle Flair versprühen die seelenlosen Kasten-Konstrukte nicht mehr.
Der Abschied vom Routemaster hatte viele Gründe: Bei einer zweiköpfigen Besatzung schienen die Personalkosten zu hoch, für Rollstuhlfahrer waren die Busse nicht zugänglich und das "Hop on – hop off" von der Plattform führte zu vielen Unfällen.
Dabei war gerade die Freiheit, den Bus an jeder beliebigen Stelle in der Stadt betreten und verlassen zu können, ein beliebter Volkssport. "Mir hat einmal das gesamte Unterdeck der Linie 77 applaudiert, als ich neben dem Bus her rannte und während der Fahrt aufsprang, mit einer Aktentasche in der Hand", erinnerte sich der bekannte BBC-Journalist Matthew Parris in einer Sondersendung zur letzten regulären Routemaster-Fahrt. "Wer das Risiko scheut, taugt ohnehin nicht zum Londoner", trauerte Parris der Doppelstock-Ikone nach.
Das zweite Besatzungsmitglied, der "Conductor", musste sich nicht nur um die Fahrkarten kümmern, sondern als eine Art Rausschmeißer auch für Ordnung auf der Plattform sorgen.
Viele rollen immer noch
Ganz sind die roten Riesen nicht aus Londons Straßenbild verschwunden. Einige fahren auf "Heritage Routes" für Touristen. Und auch als besonderes Transportmittel für Veranstaltungen werden die Busse gern gebucht. Wahrscheinlich hat mehr als ein Drittel der bis 1968 rund 2800-mal gebauten Fahrzeuge überlebt. Viele befinden sich im Privatbesitz, manche wurden zu Wohnmobilen umgebaut.
"Die alten Routemaster waren einfach schön zu fahren", erinnern sich die Busfahrer Ray und Michael. "Ich war schon als Schuljunge total vernarrt in diese Busse, und später stolz darauf, selbst am Steuer zu sitzen", sagt Ray.
Eine Fahrt im Original lässt auch heute noch ein wenig von Londons altem Flair lebendig werden. Auf den hinteren Plätzen im Unterdeck weht einem der Wind um die Nase, das alte Fahrgestell ächzt über jede Bodenwelle, und über die kleine Wendeltreppe gelangt man zum Oberdeck mit seiner grandiosen Aussicht.
Neues Herz in alter Hülle
Nur das Motorengeräusch ist überraschend ruhig und harmonisch für einen 40 Jahre alten Bus-Klassiker. Ray liefert die Erklärung: "Die alten Motoren wurden längst ausgetauscht, nicht zuletzt um die Busse umweltfreundlicher zu machen", sagt Ray. Die modernen Dieselaggregate wurden zwischen 2001 und 2004 installiert. Ray bedauert ein bisschen, dass dabei auch das alte Getriebe weichen musste: "Das halbautomatische Getriebe mit Lenkstockhebel war viel schöner als die neue Automatik mit Drucktasten", findet der Bus-Pilot.
Weil die Bewohner der Themse-Metropole so sehr an ihren roten Riesen hängen, ist sogar ein Nachfolger für den Routemaster im Gespräch. Londons neuer Bürgermeister Boris Johnson hat einen Design-Wettbewerb ausgelobt. "London verdient einen Bus, der fit ist für das 21. Jahrhundert - und ich wünsche mir, dass so viele Menschen wie möglich ihre Ideen einbringen", wendet sich Johnson auf der Internetseite des Wettbewerbs an seine Bürger.
Sowohl professionelle Designer als auch Hobby-Gestalter sind angesprochen. Ein paar Attribute des Originals müssen alle Entwürfe enthalten, etwa den Platz für ein zweites Besatzungsmitglied oder die offene Plattform am Heck. Bei der Farbgestaltung haben die Designer freie Hand – solange der Doppeldecker nur rot ist.
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