Das Spalier wird immer enger. Wie bei der Tour de France. Fotoapparate blitzen. Zehntausende stehen vor der Engelsburg in Rom und applaudieren, als sich die Oldtimer den Weg zur Rampe bahnen. Rom hat viele Sehenswürdigkeiten und noch mehr Feste. Doch wenn die Mille Miglia Anfang Mai dort Halbzeit bei der legendären Rundtour feiert, dann ist halb Rom auf den Beinen.
Noch spektakulärer sind die Durchfahrten durchs nächtliche Cento, das turbulente Bologna oder die klassischen Stationen wie Buonconvento, Parma oder Viterbo. Wenn die Schar von 375 Oldtimerfans sich daran macht, eine Strecke von eintausend Meilen zurückzulegen, kommen jedes Jahr Hunderttausende von Italienern und fast genauso viele Mille-Miglia-Touristen. Es herrscht Volksfeststimmung: Die Zuschauer grölen und applaudieren. Schließlich gilt es leistungsstarke Viel-Zylinder aus den Anfängen der Automobilära zu übertönen.
Wer glaubt, dass sich die Italiener allein für Alfa-Romeo, Maserati und Ferrari begeistern können, die den Rennen bis 1957 den Stempel aufdrückten, der irrt. Neben den schon wegen des 100. Firmengeburtstages wild bejubelten Alfa-Modellen, ist die kleine Armee von BMW 328 ein Star-Ensemble im Feld. Doch die Italiener lieben gerade auch die eigenen Marken. Wo sonst bekommt man Vorkriegsmodelle wie Lancia Lambda, Bugatti Typ 43, Alfa Romeo 6C oder einen Fiat 514 zu sehen?
Die Mille Miglia des Jahres 2010 bot wie gewohnt Höhen und Tiefen - am zweiten Renntag vier Jahreszeiten von 23 Grad im Schatten bis zu drei Meter hohem Schnee nur eine knappe Stunde nördlich von Rom. Liegen gebliebene Lagondas, brüllende Bugattis und ein grandios schönes BMW 328 Mille Miglia Coupé, das exakt 70 Jahre nach dem großen Mille-Triumph von Huschke von Hanstein an gleicher Stelle wieder siegreich war.
Zweieinhalb Tage statt neun Stunden
Einmal mehr siegte Giuliano Cané. Die Ruhe und Beständigkeit der Mille-Miglia-Legende war einmal mehr durch nichts zu erschüttern. Der zurückhaltende Italiener gewann bei seinem 14. Auftritt zum 10. Mal. BMW machte den Erfolg komplett und stellte mit Enzo Ciravolo in einem BMW 328 von 1937 gleich noch Platz drei.
Jedes Jahr sind bei der Mille Miglia die schönsten Rennwagen der Jahre 1927 bis 1957 in Aktion zu bewundern. Dabei ist der sportliche Wert der Rennveranstaltung nachrangig. Wurde die Strecke von mehr als 1.600 Kilometern früher in Rekordzeiten von unter neun Stunden zurückgelegt, so ist die Mille seit der Neuauflage im Jahre 1977 auf zweieinhalb Tage ausgelegt. Das einst wohl schwerste Autorennen der Welt ist nicht mehr ganz so tollkühn wie zu den Zeiten von Huschke von Hanstein, Stirling Moss oder Juan Manuel Fangio.
Zwar geht es hein erster Linie um Gleichmäßigkeit und Durchhaltevermögen. Doch die grandiose Strecke von Brescia nach Rom und zurück ist nach wie vor ein Tort für Mensch und Maschinen. Denn es wird scharf gefahren.
Die Polizei als Freund und Helfer
Die Polizei drückt alle Augen zu und so wird ebenso über die sanften Hügel der Toskana gedonnert wie durch die Außenbezirke von Rom oder den Passo della Futa hinauf. Motorradpolizisten sorgen für freie Fahrt und machen sogar die Gegenspur frei. Damit nicht genug: Sie animieren zum Beschleunigen und helfen beim Schneiden unvorsichtiger Verkehrsteilnehmer. So eine Veranstaltung wie die Mille Miglia kann es nur in einem Land geben - in Italien.
Das Teilnehmerfeld ist bunt: Promis, Rennfahrer, Väter mit ihren Söhnen, Frauenteams und Entwicklungschefs von Autoherstellern. Nach den zweieinhalb Tagen ist jeder, der es geschafft hat, darüber überglücklich. Was stört da noch, dass einem nachts vom Motorenlärm und Fahrtwind die Ohren dröhnen.
Der Titel der diesjährigen Veranstaltung, "eine kleine Reise um die Welt" könnte passender kaum gewählt sein: Die Teams kommen aus Europa, Asien, den USA und sogar Australien. Schließlich gibt es eine Oldtimerrallye wie die Mille Miglia weltweit nur einmal. Die mehr als 1.600 Kilometer quer durch Norditalien sind ein Großereignis, das nicht nur die Automobilfans begeistert.
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