Für die einen ist Aston Martins Luxuslimousine Lagonda das abgefahrenste Auto aller Zeiten. Charismatischer als ein DMC DeLorean, exklusiver als ein Excalibur - und mindestens so beindruckend wie ein Rolls Royce Silver Spur. Den stellte der Lagonda nach seiner Präsentation Mitte der 70er Jahre nicht nur in Sachen Exklusivität und Preis locker in den Schatten. Andere halten den 1976 vorgestellten Luxusliner für eine Beleidigung des Automobildesigns.
Kein Zweifel: Der ehemalige Aston-Designer Willam Towns wollte einen besonders charismatischen Luxuscruiser auf die Räder stellen – ein Auto, das es noch nicht gegeben hatte. 5,30 Meter lang, knapp 300 PS stark und mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet, war der Aston Martin Lagonda bis zu seiner Produktionseinstellung Ende der 80er Jahre die teuerste Möglichkeit Auto zu fahren. Sein Design ließ vielen Passanten im überfüllten Stadtverkehr von Downtown London damals ungläubig staunen.
Diese Reaktion hat sich bis heute nicht geändert. Der ebenso lange wie kantige Aston Martin Lagonda ist ein exquisites Stück automobiler Geschichte und so dezent wie eine rosa Giraffe, die auf der Bank vor einer Dorfkirche Platz genommen hat und Zeitung liest.
Mercedes hatte Mitte der 90er Jahre viel Marketingaufwand nötig, um das Vier-Augen-Gesicht bei der damaligen E-Klasse salonfähig zu machen. Willam Towns hatte es auf der London Motorshow im Jahre 1976 da deutlich einfacher mit dem Sechs-Augen-Gesicht des Lagonda. Zusammen mit dem nicht minder umstrittenen "Folded-Paper-Stil" war der neue Viertürer ein paar Tage nach der Weltpremiere das Aufreger-Thema für die halbe Automobilwelt. Denn den verband so gar nichts mehr mit den eleganten Aston-Formen aus den 60er Jahren. In Zeiten eines Maserati Quattroporte oder eines Mercedes CLS ist ein viertüriger GranTourismo heute nichts Besonderes mehr - damals war er gut für einen Aufruhr im Himmel.
Helle Augen - und zwar reichlich
Bis heute sollen die meisten der rund 650 gebauten Lagonda-Modelle überlebt haben. Der Gebrauchtwagenmarkt ist jedoch nicht nur in Europa extrem dünn. Die extravagant gestylte Luxuslimousine steht heute in so mancher Autosammlung und fährt zumeist keinen Meter mehr. Wer ihn im Straßenverkehr von Los Angeles, Genf oder München sieht, sollte ihm daher ein paar Minuten Zeit opfern - so schnell wird er das nicht wieder erleben.
Ein genauer Blick also auf die nicht enden wollende Motorhaube, die fallbeilartig abgehackte Heckscheibe oder die auffälligen Ballonreifen, die den Aston Martin Lagonda als automobile Sänfte erscheinen lassen. Und dann dieses Gesicht: Sechs Augen haben sonst nur Außerirdische. Öffnen sich dazu die gewaltigen Klappscheinwerfer, sieht man gar fünf Scheinwerferpaare.
Hinter seinem winzigen Kühlergrill im Rolls-Royce-Stil beheimatet der Charakterkopf eines der sportlichsten Triebwerke seiner Zeit. Aston Martin hatte seinerzeit nur ein Triebwerk: Der 5,4 Liter große V8 leistet 220 kW/299 PS. Die reichten aus, um den Hecktriebler zur schnellsten Luxuslimousine seiner Zeit werden zu lassen. Bei 230 km/h Spitze kamen damals nur die schnellsten Sportwagen mit. Selbst der mit 286 PS ähnlich starke Mercedes 450 SEL 6.9 hatte da knapp das Nachsehen.
Auch rund 30 Jahre nach seinem Marktstart steht der Lagonda mit seinen 450 Nm Drehmoment noch gut im Futter. Der Achtzylinder schenkt den Ohren aus den vier Endrohren das erwartet tiefe Konzert und der Tatendrang überzeugt einen schnell davon, in einem echten Sportwagen zu sitzen. Doch Dreigangautomatik, indirekte Steuerung und die weiche Abstimmung der Federung lassen einen abseits gerader Landstraßen schnell wieder zur zurückhaltenden Gangart übergehen. Auffallen kann man schließlich bei jedem Tempo.
Noch spektakulärer als sein kantiges Außendesign war und ist für viele die Gestaltung des Innenraums. Weiche Ledersofas vorne und hinten, ein spindeldürres Lenkrad und elektrische Helfer für die Plagen des Alltags sind das eine. Visionäre Sensortasten, LCD-Anzeigen oder Leuchtdiagramme ließen den Lagonda zum anderen für viele zu einem Raumschiff aus einer anderen Galaxie werden.
Bedienung mit Macken
Die futuristischen Bedieneinheiten hatten bereits damals so ihre Macken und die Lenkstockhebel scheinen noch heute bei jedem Richtungswechsel abzubrechen. Mal funktionierten sie gut, dann wieder schlecht oder auch gar nicht. Die Klimatisierung wurde nicht nur mit einer Schaltkulisse von einem ehemaligen Radiowecker, sondern auch getrennt für vorne und hinten geregelt. Denn ungewöhnlich für einen Viertürer ließen sich die hinteren Seitenscheiben ebenso wenig öffnen wie das Sonnendach, das zwischen den beiden Sitzreihen nur Licht und keine Frischluft spendet.
Alles in allem lässt es sich in der ersten Reihe vortrefflich und bequem verweilen. Trotz des gewaltigen Radstandes von 2,91 Metern ist es im Fond dagegen alles andere als bequem. Kopfstützen, versenkbare Seitenscheiben fehlen eben wie eine elektrische Verstellung oder genügend Fußraum. Die vorderen Ledersessel kosten viel Platz und die in den C-Säulen versteckten Einfüllstutzen der Tankanlage ließen den Lagonda-Ingenieuren anscheionend nicht viele Möglichkeiten.
Die Verarbeitungsqualität lässt innen wie außen viel Spiel nach oben. Die Einfassungen von Rücklichtern, Türscharnieren, Spaltmaßen und Kotflügelverkleidungen zeugen ebenfalls nicht von höchster Fertigungsgüte. Wüsste man es nicht besser, würde man meinen, es handele sich um einen Prototypen. Mit einem solchen hat der Lagonda nur eines gemein: Er wurde ebenfalls in hingebungsvoller Handarbeit aufgebaut.
Doch gerade das macht - zusammen mit dem Charme - einen Aston Martin Lagonda aus. Hört sich doch gut an, das seinerzeit teuerste Auto der Welt zu fahren. Einst lagen die Neupreise eines Lagonda der Serien II bis IV zwischen umgerechnet 200.000 und 320.000 D-Mark. Und für einen ordentlichen Gebrauchten sind auch heute noch deutlich mehr als 50.000 Euro drin.
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