Die Generation 50+ findet in der Automobilwerbung derzeit kaum Beachtung. "Wer will schon gern ein Senioren-Auto fahren?" Diesen Spruch hört man immer wieder aus den Marketing- und Produktabteilungen. Nach wie vor grassiert der Jugendwahn. Keine Frage auch: Es gibt mehr Senioren, die ein vermeintlich jugendliches Auto in der Einfahrt stehen haben wollen, als erfolgreiche Jungunternehmer, die in einem seniorentauglichen Van bequem auf Geschäftsreise gehen möchten. Da unterschiedet sich die Autobranche kaum von Bekleidung, Sportartikeln und Konsumgütern.
Das Bild, das die Werbung vorspiegel, hat mit der Realität allerdings nur bedingt zu tun. In den Entwicklungsabteilungen der Autohersteller spielen die Senioren längst eine große Rolle. Dort weiß man genau, dass Autofahrer über 60 Jahre nicht nur einen immer größer werdenden Anteil am Kundenstamm einnehmen. Sie haben - im Gegensatz zu vielen jüngeren Kunden - auch das nötige Geld, sich die in den vergangenen Jahren enorm teuer gewordenen Neufahrzeuge leisten zu können.
Jung und alt unter einen Hut zu bringen ist nicht nur in der Werbung nahezu unmöglich. Und auch bei der Produktauswahl gibt es durchaus nennenswerte Unterschiede. Die Bedürfnisse der älteren Autofahrer sind oftmals andere, als die von Fahrern und Passagieren zwischen 25 und 45 Jahren.
Wer schon einmal die eigenen Großeltern zum Weihnachtsessen transportiert hat, der weiß worum es geht. Beim chicen Design, einer gehobenen Ausstattung und der kraftvollen Motorisierung gibt es kaum Unterschiede zu den Wünschen der jüngeren Kundschaft. Doch geht es um Sitzposition, Einsteigen, Be- und Entladen sieht die Welt schon ganz anders aus.
Im Ford-Entwicklungszentrum in Aachen wurde daher bereits vor längerer Zeit ein so genannter Altersanzug entwickelt. Designer und Ingenieure können sich durch wenig ansehnliche Bandagen, einengende Gürtel, Halskrausen und nervige Stützelemente in den Zustand eines alles wenig rüstigen Mittsiebzigers versetzen. Was zunächst als Karnevalskostüm der besonderen Art anmutet, hat einen Sinn für zukünftige Entwicklungen.
Hand in Hand
"So können wir zum Beispiel sehen, ob man problemlos Ein- und Aussteigen kann oder alle Schalter in Reichweite liegen", erläutert Dr. Werner Koch, technischer Experte im Ford-Entwicklungszentrum das umfassende Stützkorsett. "Der Altersanzug zeigt eindrucksvoll, wie eingeschränkt man im Alter sein kann und welche Hürden einem das Auto im Inneren bietet."
Hohe Sitzwangen, schlecht platzierte Spiegel und eine viel zu weit hinten positionierte Laderaumabdeckung lassen ein Auto bei der Kaufentscheidung schneller durchfallen, als man denken kann. Das wollen die Hersteller verhindern und Autos bauen, die nicht nur gut aussehen, sondern auch mit Rückenleiden, Kniebeschwerden und defekten Gelenken noch gut fahrbar sind. Dabei arbeiten Mediziner, Techniker, Ingenieure, Mathematiker und Maschinenbauer im Ford-Entwicklungszentrum Hand in Hand.
Den Anfang macht die richtige Sitzposition. Sie ist bei älteren Autofahrern noch wichtiger, um körperliche Beschwerden auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Das Forschungszentrum hat als Weiterentwicklung des Computerprogramms AnyBody eine Anwendung entwickelt, die zeigt, wie groß die Kräfte sind, die auf die einzelnen Muskelgruppen einwirken.
"Wir wollen das Fahrer in jeglicher Hinsicht unterstützen", sagt der Ingenieur Karl Siebertz, "Komfortfunktionen des Sitzes haben insbesondere mit Muskelkräften zu tun. Beim Fahren im Auto werden rund 450 der insgesamt rund 600 Muskelgruppen beansprucht." Per Computerprogramm und einem eigens entwickelten Modell wird bei der Ford-Vorausentwicklung die Wohlfühlposition berechnet, die letztlich jungen Erwachsenen und Senioren gleichermaßen gut tut.
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