Wie viele Zylinder hat er denn, acht oder zwölf?" - der braun gebrannte Mittfünfziger hat sich in Brescia verschämt an den Tross der Mille-Miglia-Fahrzeuge herangetraut. "Tolles Auto. Aus den 30ern, oder?" Stimmt, zumindest was das Jahr angeht. Der Bentley 4,5 Litre Supercharged, den fast alle nur unter der Bezeichnung Bentley Blower kennen, ist ein imposantes Stück Automobilgeschichte.
In Le Mans schon nur mäßig erfolgreich, wurde die Mille-Miglia-Teilnahme des Blowers im Jahre 1930 ein Desaster. Mit großen Vorschusslorbeeren gemeldet, schaffte das Team es nicht, den Birkin-Blower Nummer 2 mit Sir Henry Tim Birkin und Bentley-Chairman Woolf Barnato rechtzeitig zum Start fertigzubekommen. Über die Gründe gibt es viele Mythen. Doch fest steht nur, dass man nicht startete.
Die Technik des Bentley Blower 4,5 Litre hatten die Techniker damals im Griff, doch die Zwangsbeatmung mit einem Roots-Kompressor, der vor Vorderachse und Kühlergrill lautstark seine Arbeit verrichtete, bereitete immer wieder Probleme. Statt der sonst üblichen acht oder zwölf Zylinder kam der Blower mit gerade einmal vier Zylindern aus. Jede Brennkammer hatte daher ein gigantisches Volumen von über 1,1 Litern. Ohne den Einsatz des Kompressors geht nicht allzu viel, doch wenn die Roots-Turbine erst einmal einsetzt, gibt es kein Halten mehr.
Für das materialraubende Rennen durch ganz Italien war der offene Viersitzer zum Zweisitzer umfunktioniert worden. Dort, wo sich im Fond sonst Passagiere an den üppigen Platzverhältnissen erfreuen konnten, fand ein überdimensionaler Zusatztank Platz, mit dem sich die Reichweite von 130 bis 150 Meilen nahezu verdoppelte.
Zwar geht es aufgrund der üppigen Dimensionen platzmäßig geradezu opulent zu, doch der grüne Koloss fährt sich wie ein Lastwagen
Um in Le Mans starten zu dürfen, mussten vom Bentley Blower mindestens 50 Fahrzeuge in einer Kleinserie produziert werden. Doch die Nachfrage nach dem normalen Bentley 4,5 Litre war bereits überschaubar und noch deutlich schwieriger sah es mit der ein paar hundert britische Pfund teureren Kompressorversion aus, der sich bei den Autorennen zudem kaum in Szene setzen konnte. Zumeist waren es technische Defekte, die den rund 170 PS starken Vierzylinder lange vor dem Schwenken der schwarz-weiß-karierten Zielflagge in die Boxen holten. Der seinerzeit allgemein gültige Slogan "Win on Sunday - sell on Monday" wurde somit zur Farce.
Wie viele andere Rennwagen aus den späten 1920er und frühen 1930er Jahren ist eine Fahrt im Bentley 4,5 Litre Supercharged alles andere als ein Vergnügen. Zwar geht es aufgrund der üppigen Dimensionen platzmäßig geradezu opulent zu, doch der grüne Koloss fährt sich wie ein Lastwagen. Die Steuerung mit dem mächtigen Lenkrad erinnert an ein Anlegemanöver der MS Franziska, die Bremsen sind mäßig und die hakelige Viergangschaltung stellt selbst erfahrene Piloten immer wieder vor Probleme. Der Blower hat einen eigensinnigen Charakter. Mal rutschen die Gänge bei doppelter Kupplung, Gasstoß und kraftvollem Armeinsatz beinahe wie von selbst in die nächste Schaltstufe, mal lassen sich gerade die Gänge zwei und drei nur nach mehrmaligen Versuchen und entsprechender Gewalt einlegen.
In langsamen Tempi fühlt sich der Brite ebenso wenig zu Hause wie in kurvigem Geläuf. Er will lange Geraden und seichte Kurven; gerne auch bergauf, wo er sich wie einst in Le Mans mit den brüllenden SSK-Modellen von Mercedes Elefantenrennen lieferte, von denen die alten Recken noch heute berichten. Die Höchstgeschwindigkeit damals wie heute: über 100 Meilen - 160 km/h.
Der offene Viersitzer Bentley 4.5 Litre Supercharged hat als eines von damals 50 für die Straße produzierten Modellen mittlerweile einen Wert von über vier Millionen Euro. Auf der Mille Miglia ist der Bentley Blower seit seinem ersten Neustart vor ein paar Jahren einer der Publikumslieblinge. Insbesondere in der Klasse der Vorkriegsfahrzeuge gibt es neben den spektakulären SSK-Modellen von Mercedes kaum ein Auto, das mehr Aufsehen erregt. Und wenn es zwischendrin durch die italienische Tiefebene geht, fühlt es sich Seite an Seite mit den Mercedes 540 SSK fast so an wie vor 80 Jahren auf den Rennstrecken dieser Welt.