Jedes Wirtschaftswunder verliert früher oder später an Fahrt. Das sind die Gesetze der Ökonomie, denen sich auch das Boom-Land China nicht verschließen kann. Das Wachstum im Reich der Mitte kühlt sich langsam ab. Selbst die Regierung in Peking geht davon aus, dass mittelfristig nur noch hohe einstellige Steigerungen erzielt werden können.
Doch die - für chinesische Verhältnisse - bescheidenen Wachstumszahlen bringen BMW-Vertriebsvorstand Ian Robertson nicht aus der Ruhe. "Das ist für einen Markt, der in den letzten Jahren ein solches Wachstum hingelegt hat, ganz normal." Noch gibt es für die Münchener keinen Grund, auch nur im Ansatz Trübsal zu blasen. Immerhin hat die BMW-Group (ohne Rolls-Royce und Motorrad) vergangenes Jahr in China 326.444 Autos verkauft. Das entspricht einem Wachstum von 40,4 Prozent. Im ersten Quartal dieses Jahres waren es bereits 86.070 Fahrzeuge (plus 7,6 Prozent).
Auf das Jahr hochgerechnet wären das 344.280 Modelle. Der Erfolg kommt nicht von ungefähr: Laut dem China Trend Index des Jahres 2012 ist BMW mit einem Wert von 90 Prozent die begehrteste Automarke in China.
Doch Robertson richtet den Blick nach vorne. Für die Münchener sei es jetzt entscheidend, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen und sich dabei nicht von dem konstant eingeschlagenen Kurs abbringen zu lassen. Dabei ist vor allem der Ausbau des Händlernetzes wichtig. Nach den erschlossenen Städten der Ostküste, lautete jetzt mit Unterstützung der chinesischen Regierung die Devise "Go West". Jetzt stehen die kleineren Städte im Landesinneren auf dem Plan.
PWC prognostizieren bis 2020 eine Verdoppelung der Produktion deutscher Premium-Hersteller
Immerhin sind das rund fünf Millionen Einwohnern, die noch keinen Händler haben. Momentan verfügt BMW über 370 Verkaufsstützpunkte in China. 60 weitere Betriebe sollen folgen, von denen jeder für 1.500 bis 2.000 Autos pro Jahr gut sein soll. Der vor kurzem ernannte China-Chef Karsten Engel peilt mittelfristig eine Verdoppelung des Absatzes an. Das ergibt sich aus der schieren Größe des Landes und den neuen Absatzmöglichkeiten.
Die Ambitionen der Münchner kommen nicht von ungefähr: Die Auto-Analysten von PWC prognostizieren, dass sich die Produktion deutscher Premium-Hersteller bis 2020 verdoppeln wird. Diese Prognose wird von den Unternehmensberatern von McKinsey unterstützt, die in den nächsten acht Jahren sogar von einem durchschnittlichen Wachstum von zwölf Prozent im Premium-Segment in China ausgehen.
Im Vergleich dazu wird der gesamte Automobil-Markt laut den Prognosen jährlich weiter um rund acht Prozent wachsen. Das bedeutet: Bis spätestens 2020 wird die Volksrepublik mit rund drei Millionen verkaufter Autos pro Jahr die USA als größter Absatzplatz für Premium-Modelle abgelöst haben.
In den großen chinesischen Städten sollen Erlebniswelten entstehen
Ein wichtiges Standbein wird zunehmend der Aftersales-Bereich. Momentan befinden sich über eine Million BMW auf Chinas Straßen. Über die Hälfte ist jünger als zwei Jahre. Das bedeutet, dass in den kommenden Jahren der Aftersales-Markt mit all seinen Gebrauchtwagen-Facetten immer wichtiger wird. Angefangen von Reparaturleistungen bis hin zu Finanzierungen.
Diese Entwicklung hat der BMW-Vorstand offenbar im Blick gehabt, als er mit Karsten Engel einen Aftersales-Spezialisten mit China-Erfahrung auf den Chefsessel im Reich der Mitte hievte. Er geht seine Aufgabe mit Augenmaß an. "Man darf jetzt keinen Fehler in der Marktvorbereitung und in der Händlerentwicklung machen", sagt Engel.
BMW stellt in China seinen Auftritt um. In den großen Städten sollen Erlebniswelten entstehen, in denen der Kunde durch sogenannte "Product-Geniuse", wie man es von den Apple Stores kennt, eine individuelle Beratung bekommen. Ein Kauf wird nicht möglich sein. Die erste dieser Markenwelten wurde Anfang April in Shanghai eröffnet.
Doch die Münchener verlassen sich bei ihrem Wachstumskurs nicht alleine auf die Strahlkraft ihrer Kernmarken BMW und Mini, sondern setzen auch auf die mittlerweile zehn Jahre andauernde Zusammenarbeit mit dem Joint Venture Partner Brilliance. Gemeinsam hob man jetzt die Marke "Zinoro" aus der Taufe, deren Name im chinesischen in etwa "Versprechen" bedeutet.
"Wir kreieren nichts, was BMW nach unten zieht."
Als Geburtstagsgeschenk wird im November ein rein elektrisches Modell - vermutlich ein Crossover - vorgestellt, das mit seiner Reichweite von 50 Kilometern der Definition der chinesischen Regierung eines New Electric Vehicle (NEV) entspricht. "Das wird ein Autos sein, dass hochwertig gefertigt ist, aber kein BMW ist", sagt Brilliance-Chef Olaf Kastner und benennt die Zielgruppe: "Wir haben Käufer in Blick, die bewusst chinesische Produkte kaufen, aber nach vorne schauen."
Befürchtungen, dass das neue Modell den aufwendig entwickelten E-Mobilen i3 und i8 schaden könnte, die beide im zweiten Quartal des nächsten Jahres in China erscheinen sollen, teilt Kastner nicht: "Wir kreieren nichts, was BMW nach unten zieht. Die Unterscheidung wird ganz deutlich sein."
Im Gegensatz zum Münchener Karbon-Stromer, dessen Batterie von SB LiMotive (Samsung und Bosch) kommt, wird im E-Zinoro ein chinesischer Akku verbaut sein. Außerdem soll der Zinoro nur punktuell, hauptsächlich in großen Städten, vertrieben werden und - falls sich das Konzept bewährt - Ausgangspunkt einer ganzen Produktfamilie sein.
"Bis Ende des Jahres werden wir 500 Ingenieure in unserer F&E-Abteilung haben", verspricht Kastner. Die können zumindest teilweise auf bewährte Technik zurückgreifen. Um kostengünstig zu produzieren, sind Gleichteile von BMW-Modellen nötig, darunter auch Elemente des i-Antriebsstrangs.