Jeder Inder hat in seinem Leben schon einmal in einem Ambassador gesessen. Ob am Steuer, auf dem durchgesessenen Beifahrersitz oder im polternden Fond ist nicht weiter wichtig: Das automobile Fahrerlebnis hält sich auf jedem Platz in Grenzen. Doch die Inder lieben ihren Ambassador, ein hochbeiniges und nahezu unverwüstliches Auto, das immer noch auf den alten Morris Oxford Serie III aus den späten 50er Jahren zurückgeht.
Kein Bollywood-Schmachtfilm, in dem er nicht tollkühn durch die Straßen wimmelt. Und auch Indiens Taxiwelt wird von dem zumeist erbärmlich ausgestatteten Ambassador Classic dominiert.
Ritai ist seit zehn Jahren Taxifahrer. Er schwört auf den Ambassador mit seiner charismatischen Form, "weil der nicht nur günstig ist, sondern auch an jeder Ecke repariert werden kann." In seinem Geburtsort rund 200 Kilometer östlich von Neu Dehli fährt kaum jemand Auto. "Da gibt es zwar eine Reihe von Lastwagen und alte Traktoren, aber kaum Privatwagen. Wenn man ein Auto sieht, ist es ein Ambassador. Das war schon immer so", sagt der 38jährige Inder. Er lebt seit langen am Stadtrand des alten Dehli und chauffiert seinen gelb-schwarzen Ambassador Tag für Tag und Nacht für Nacht sicher durch die Straßen der 14-Millionen-Stadt.
Auch wenn im turbulenten und zumeist unüberschaubaren Straßenchaos von Neu Dehli Stoßstange an Stoßstange permanent gekämpft wird: Ritai fährt seit vielen Jahren unfallfrei. Mehr oder weniger: Die kleinen Beulen an der verchromten Stoßstange interessieren nicht weiter. Wartet er unweit des Diplomatenviertels wieder einmal auf Kundschaft, wird der Morris-Nachfahre gewienert und geputzt was das Zeug hält. Ein ganzes Arsenal von Lappen und Putzmitteln bevölkert den wenig ansehnlichen Kofferraum. Der hat diesen Namen kaum verdient, denn der Großteil des Volumens wird von einem zusätzlichen Gastank eingenommen.
Ähnlich wie die meisten Dreiradtaxis setzen viele Taxifahrer auf CNG – Compressed Natural Gas und tragen dies durch einen Schriftzug am Heck selbstbewusst zur Schau. Dort klebt bei vielen Taxis noch eine weitere Nachricht: "Caution – Powerbrakes". Nach europäischen Maßstäben ein Lacher. Doch wer einmal erlebt hat, wie lange ein überladener Oldtimerbus oder ein heruntergekommener Mahindra Offroader bis zum Stillstand benötigt, versteht den Hinweis durchaus als ernstgemeinte Warnung.
Panzerwagen
Mit Umweltschutz hat der Gasantrieb des Ambassador rein gar nichts zu tun. Vielmehr ist Gas auch in Indien deutlich billiger als Benzin oder Diesel. Immerhin – die neuesten Ambassador-Generationen werden von einem 1,8 Liter großen Vorkammerdiesel aus dem Hause Isuzu angetrieben. Die Fahrleistungen sind angesichts von nicht einmal 60 PS unspektakulär, aber alltagstauglich.
In Indien sind die Fahrzeuge eben reine Fortbewegungsmittel – nicht mehr und nicht weniger. Trotzdem haben die meisten Autobesitzer ein ganz persönliches Verhältnis zu ihrem mobilen Familienmitglied. Kein Fahrzeug ist wie das andere, auch wenn sich die betagten Limousinen mit den rundlichen Formen im Straßengewirr von Chennai oberflächlich bis auf die letzte Schraube zu gleichen scheinen.
Im Auto wird gelebt, gefahren, geboren und schlimmstenfalls auch gestorben. Niemand verkauft seinen Ambassador. Vielmehr wird der mobile Untersatz in der Familie an die nächste Generation weitergegeben.
Ritai legt Wert darauf, dass er sein Modell jedoch in erster Generation bewegt. Er hat ihn für umgerechnet 1.200 Euro gebraucht gekauft – die Ausnahme bestätigt auch in Indien die Regel. Im Straßenverkehr auf dem Subkontinent ist ein fahrbarer Untersatz nur so gut wie seine Hupe – das ist bei den Taxis nicht anders als bei der rund 30 Fahrzeuge starken Begleitflotte des Regionalfürsten. Dort sieht man die tollsten Variationen des Ambassador – mit Haltestangen für den 100 Mann starken Personenschutz oder Panzerung gegen böse Überraschungen des Alltags.
Tempel auf Rädern
Wer die Tür eines Ambassador öffnet, der blickt meist in einen fahrbaren Schrein. Die hellen Sitzüberzüge sind aufwendige Handarbeit, der Boden wird von kleinen Teppichen geschmückt und die Gardinen wurden von der Dame des Hauses in wochenlanger Manufaktur auf das entsprechende Fahrzeug angepasst. Ein beleuchteter Minitempel auf dem Armaturenbrett sorgt dafür, dass der Pilot im Straßenverkehr den nötigen Schutz höherer Mächte genießt.
Das scheint bei dem indischen Fahrstil bitter nötig: Auf an sich zweispurigen Straßen fahren nicht nur in Neu Dehli versetzt meist fünf bis sechs Fahrzeuge nebeneinander. Ein schieres Wunder, dass es nicht zu Massenkarambolagen kommt. Wer dachte, der Verkehr in Manhattan oder dem Pariser Ringsystem sei anstrengend, der sollte seinen nächsten Autourlaub im 1,1 Milliarden Einwohner zählenden Indien buchen. Nicht nur Europäer lernen hier schnell Demut.
Die wievielte Generation des Ambassador mittlerweile vom Band läuft, weiß so recht niemand. Produziert wird der Nachfolger des Morris Oxford Serie III bei Hindustan Motors in der Nähe von Kolkata, dem ehemaligen Kalkutta. Pro Jahr laufen rund 20.000 Ambassador vom Band – die exklusiven Versionen für Prominente, Politiker und gewerbliche Nutzung nicht eingerechnet.
Moderne Zeiten
Doch auch der altehrwürdige Ambassador kommt in die Jahre. Sein Marktanteil von ehemals über 90 Prozent hat sich auf unter zehn Prozent reduziert. Dabei ist es nicht die alte Technik, die langsam auf das Ende seiner Produktion hindeutet, sondern die ausländische Konkurrenz.
Das Joint Venture von Suzuki und Maruti ist seit langem der erfolgreichste indische Autoproduzent und stellt mit Modellen wie Baleno, Swift und dem Alto die begehrtesten Modelle – ebenfalls zu Schnäppchenpreisen. Nachdem sich der Import ausländischer Fahrzeuge allenfalls für eine Edelmarke Mercedes-Benz lohnt, haben sich immer mehr Hersteller in Indien selbst eingenistet. So produzieren Firmen wie Ford, Mitsubishi und Hyundai seit Jahren eigene Indienmodelle und umgehen so die Strafzölle in Höhe von 60 Prozent.
Neuester Vertreter der europäischen Automobilzunft ist BMW. Die Bayern produzieren in südindischen Chennai Modelle der 3er und 5er Reihe. Unwahrscheinlich allerdings, dass die Kundschaft des auch schon durchaus elitären Ambassador zur noch viel elitäreren Konkurrenz von BMW, Audi oder Mercedes wechselt. Die Edelmarken kosten auf dem Subkontinent ähnlich viel wie in Europa - oder deutlich mehr. Bei einem Durchschnittseinkommen von unter 200 Euro pro Monat bleibt das für die meisten Inder ein automobiler Traum. Grund genug, doch beim guten alten Ambassador zu bleiben.