Bei 1,1 Milliarden Einwohnern gibt es auf dem indischen Subkontinent gerade mal 1,2 Millionen Autos. Ein Autoland sieht anders aus. Doch wenn man die überfüllten indischen Straßen sieht, mag man das kaum glauben: Stoßstange an Stoßstange pressen sich die meist kleinen Vehikel durch Metropolen wie Chennay oder Neu Dehli. Doch rund 70 Prozent der Bevölkerung lebt auf dem Land und hat andere Sorgen als ein neues Auto. Doch der Markt wächst - zumindest in den Zentren.
Wegen der hohen Einfuhrzölle bekommen europäische Hersteller allerdings bislang kaum ein Bein auf den indischen Automarkt. Das soll sich möglichst bald ändern. BMW produziert im südindischen Chennai ab sofort Fahrzeuge der 3er-Reihe. Im Mai kommt der 5er dazu. Mit der neuen Produktionsstätte in der Industrieansiedlung Mahindra World City will BMW den ewigen Konkurrenten Mercedes-Benz überholen, der in den vergangenen zehn Jahren immerhin 14.000 Importfahrzeuge verkaufen konnten. Das Investitionsvolumen der BMW Group liegt in Indien bei zunächst 20 Millionen Euro.
In gerade mal zwölf Monaten Bauzeit entstand eineinhalb Stunden außerhalb der Küstenstadt Chennai das neue Werk. Für die hier 150 neu zu besetzenden Stellen gab es mehr als 15.000 Bewerbungen – und das auf nur eine Zeitungsanzeige hin. Jeder Mitarbeiter verdient mit umgerechnet 350 Euro pro Monat deutlich mehr als den Durchschnittslohn und bekommt zudem Mahlzeiten, Bustransfers und ein umfangreiches Versicherungspaket.
Geschult wurden die Inder vier Wochen lang im BMW-Werk Thailand. Einen eigenen BMW dürfte sich - abgesehen von den vier aus München entsandten BMW-Ingenieuren - dennoch niemand im Werk leistet können. Trotz reduzierter Einfuhrzölle startet ein BMW 320i auf dem indischen Markt bei 46.460 Euro. Die Zielgruppe liegt woanders: Ab sofort soll sich die indische Wirtschaftselite aus Computerfirmen, Anwaltskanzleien und Banken mit Fahrzeugen der 3er oder 5er Serie durch den nervigen indischen Stopp-and-Go-Verkehr chauffieren lassen.
Doppelter Preis
Die Bayern haben im Land der preiswerten Kleinwagen viel vor. Das indische Werk soll ein wichtiger Baustein für die neue Asienstrategie werden. "Im Jahre 2005 haben wir hier in Indien gerade mal 225 Fahrzeuge verkauft. Zukünftig sollen es 1200 Modelle pro Jahr sein", sagt BMW-Chef Norbert Reithofer. "So werden wir auch unabhängiger von Währungsschwankungen."
Die Einfuhrzölle nach Indien liegen für ein Wirtschaftsgut wie ein Auto bei 60 Prozent. Durch weitere Steuern verteuert sich ein Fahrzeug wie ein BMW 320i um mehr als das Doppelte.
Da eine komplette Produktionslinie für 1000 bis 1700 Fahrzeuge pro Jahr zu teuer wäre, werden die BMW-Modelle in Bausätzen nach Indien transportiert. Eine Lieferung besteht aus sechs Großcontainern und beinhaltet 24 komplette und bereits lackierte Fahrzeuge, die in der 13.000 Quadratmeter großen Produktionshalle Schritt für Schritt zusammengebaut werden. Der Modulimport reduziert die Zölle auf zehn Prozent.
Während die Fahrzeuge in Chennai produziert werden, befindet sich die Zentrale von BMW India in Neu Dehli, wo unter Präsident Peter Kronschnabl weitere 50 BMW-Mitarbeiter an Markt, Strategien und Händlernetzes arbeiten. "Derzeit gibt es landesweit acht BMW-Händler", berichtet Kronschnabl. "Mittelfristig werden es landesweit zwölf sein. Damit können wir das Land gut abdecken."
BMW setzt nicht zum ersten Mal auf seine Strategie, wonach die Produktion dem Markt folgen muss. Das hat sich unter anderem in England, den USA und China ausgezahlt.
Megamarkt Asien
Jetzt setzt die BMW-Führung rund um Vorstandschef Reithofer auf Indien als einen der neuen automobilen Wachstumsmärkte. Wichtiger noch als die Zollersparnis ist für die BMW-Strategen der Ausblick auf ein einträgliches Zukunftsgeschäft. Indien wird von Wirtschaftsanalysten ein ähnliches Potenzial wie dem asiatischen Vorzeigeturbo China eingeräumt.
Wer das Straßenbild von Megacities wie Neu Dehli oder Chennay sieht, der mag daran auf den ersten Blick zweifeln. Zwar sind die Ochsenkarren mittlerweile weitgehend aus den riesigen Innenstädten verschwunden. Doch dominiert wird das Straßenbild von Kleinwagen wie Suzuki Alto, Hyundai Getz oder dem historischen Ambassador Classic.
Das indische Produktportfolio von BMW umfasst derzeit drei Modelle der 3er- und vier der 5er Reihe. Zusätzlich zu den in Indien zusammengebauten Modellen kann der BMW-geneigte Kunde zudem Modelle der 7er- und X3-Serie als – allerdings extrem teure – Importmodelle bestellen.
Für das Jahr 2009 steht derzeit zudem der neue Mini auf dem Kalkulationsprüfstand. Hier ist nach Aussagen von Produktionsvorstand Arndt "sowohl ein Import als auch eine Produktion denkbar". Und Reithofer bestätigt: "Wir untersuchen gerade, ob sich auch der Mini für uns lohnen könnte. Jedoch handelt es sich hierbei um eine komplett neue Marke und nicht nur ein Auto."