Nach wie vor ist in Sachen Donald Trump keine Ruhe eingekehrt. Der US-Präsident will unverändert solche Produkte teuer besteuern, die von außen ins Land gebracht und dort verkauft werden. Wegen der hohen Preise könnte darunter besonders die Autoindustrie leiden, bei der sich Strafzölle von 30 Prozent schmerzhaft bemerkbar machen würden. Alles nichts neues: Vor rund 100 Jahren sah es in den USA ähnlich aus. Für begehrte Luxusgüter gab es zum Wechsel ins 20. Jahrhundert sogar Zölle in Höhe von 45 Prozent. Kein Wunder, dass William Steinway, Sohn der renommierten Instrumentenbauerfamilie und leidenschaftlichen Technikvisionär, den Traum hatte, mit einer entsprechenden Konzession deutsche Autos in den USA zu bauen. Die Legende von American Mercedes begann.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Welt in Aufbruchsstimmung. Immer neue Erfindungen beschleunigten das tägliche Leben - die Fortschritte waren riesig. Elektrizität, Eisenbahn, Auto und Dampfmaschinen ließen die Welt von gestern wie im Zeitraffer vorbeirasen. Die großen Denker und Visionäre machten immer neue Erfindungen und wollten das Leben des Einzelnen von Grund auf verändern. Zu diesen Visionären gehörten nicht nur die Automobil-Pioniere Gottlieb Daimler und Karl Benz, sondern auch Wilhelm Steinweg.
Der Sohn des Instrumentenbauers Heinrich Steinweg war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weit mehr als ein Musikliebhaber und Instrumentenbauer. 1835 als Wilhelm Steinweg in der Nähe von Braunschweig geboren, wanderte er im Alter von 15 Jahren zusammen mit seinem Vater Heinrich sowie den Brüdern Karl und Heinrich in die USA aus. Die Familie amerikanisierte ihren Namen von Steinweg in Steinway und machte das, womit man sich schon in Deutschland einen Namen gemacht hatte: Sie baute Musikinstrumente. Der Markt in Deutschland war einfach zu klein geworden.
Willam Steinway wurde schnell zum geschäftlichen Oberhaupt der Familie, frönte jedoch unverändert seiner Leidenschaft für neue Technologien. Seit seiner frühesten Kindheit hatte er sich für alles Unbekannte begeistert. Boote, Eisenbahnen und Autos waren es neben dem Instrumentenbau, was ihn begeisterte. Natürlich hatte er längst von ersten Motorenentwicklungen gehört, die Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach vorantrieben.
Zunächst sollte es nicht um Autos gehen, sondern vielmehr um Stationär- und Schiffsmotoren
Nach ersten Kontakten zu Maybach Mitte der 1870er Jahre besuchte Steinweg im August 1888 seine alte Heimat Deutschland und dort unter anderem auch Gottlieb Daimler. Bei einem ersten Treffen sondierte Steinway die Möglichkeiten, die deutsche Motorentechnik in seine neue Heimat zu holen. "Had a long talk with Daimler", schrieb der Auswanderer Ende August in sein prall gefülltes Reisetagebuch. Steinway hatte ein großes Interesse daran, die Cannstatter Motoren in seiner neuen Heimat den USA als Lizenzprodukt für Bootsantriebe herzustellen.
Kurz nach seinem Treffen mit Daimler gründet William Steinway zurück in seiner neuen Heimat Long Island die Daimler Motor Company - DMC. Dabei sollte es zunächst nicht um Autos gehen, sondern vielmehr um Stationär- und Schiffsmotoren, die Steinway abseits der New Yorker Pianoproduktion in Lizenz produzieren wollte. In Deutschland wurden die neu erfundenen Motoren in Fortbewegungsmitteln wie dem legendären Reitwagen, einem Motorboot und selbst einem Motorluftschiff eingesetzt.
Es sollte noch zwei Jahre dauern, ehe Gottlieb Daimler im August 1890 den ersten von Wilhelm Maybach konstruierten Vierzylindermotor nach New York auslieferte. Das mächtige 451 Kilogramm schwere Aggregat mit sechs Liter Hubraum und einer Leistung von immerhin 9 kW/12,3 PS sollte testweise in einem Motorboot verbaut werden. Nicht einmal zwei Wochen danach lieferte Daimler Triebwerk Nummer zwei, eine weitgehend parallel entwickelte Motorvariante mit überschaubaren 2,4 Litern Hubraum. Das Gewicht hatte sich auf 153 Kilogramm gedrittelt und die Leistung auf 4 kW/5,9 PS halbiert.
Wegen der hohen Importzölle stand für William Steinway fest, dass nur eine eigene US-Produktion die hohen Kosten reduzieren konnte. Wie mir Daimler abgesprochen, machten sich amerikanische Ingenieure daran, die Arbeitsweise der beiden schwäbischen Aggregate zu studieren und ein knappes Jahr später ließ der Klavierfabrikant Steinway in Hartford/Connecticut den ersten betriebsfähigen Fahrzeugmotor Amerikas bauen. Die Pläne für den Lizenzbau der Daimler Motor Company dazu stammten von Gottlieb Daimler.
American Mercedes sollten die Autos heißen, die die USA zumindest an der Ostküste mobilmachen sollten
Längst stand fest, dass die Motoren nicht nur Schiffe und stationäre Maschinen betreiben sollten. In ihnen sah Steinway die einzigartige Möglichkeit zur Motorisierung des riesigen Landes.
Große Innovationen wurden damals nicht selten auf Weltausstellungen enthüllt. Dabei lieferten sich die USA und Europa ein hartes Wettrennen. Wurde auf der Expo 1876 in Philadelphia das erste Telefon gezeigt, gab es 1893 in Chicago auf der Weltausstellung erstmals Reisverschluss, Riesenrad und Geschirrspülmaschine.
Gottlieb Daimler ließ auf der Weltmesse am Lake Michigan eine modifizierte Version des Stahlradwagens zeigen. Das Vehikel gilt als das erste betriebsfähige Automobil der USA.
"Die Wagen, die wir für den amerikanischen Markt herzustellen beabsichtigen, werden 2 bis 4 Personen befördern können und von einem Motor von 2 ½ bis 3 ½ PS angetrieben werden. Jeder Wagen wird vier verschiedene Geschwindigkeitsgänge aufweisen: 3 ½, 6, 9 und 14 Meilen pro Stunde", erklärte William Steinway 1895 in einem Interview. "Der Treibstoff, nämlich Petroleum, kostet etwa einen Cent pro PS und Stunde, was erheblich billiger als Pferdekraft ist." Daimlers Stahlradwagen hielt er "für das hiesige Kopfsteinpflaster und die unebenen Straßen zu leicht gebaut", weshalb die Daimler Motor Company ein Modell entwickeln und bauen wollte, das "den amerikanischen Verhältnissen angepasst ist".
Doch Steinway starb im November 1896 und seine Erben verkauften ihren Anteil der Daimler Motor Company schnell an die General Electric Company. Von 1898 an hieß der Fertigungsbetrieb Manufacturing Company und 1904 wurde daraus - mit Firmensitz in Long Island City - die Daimler Manufacturing Company, deren Fertigung später nach Astoria umzog. American Mercedes sollten die Autos heißen, die die USA zumindest an der Ostküste mobilmachen sollten.
Bis heute ist unklar wie viele amerikanische Mercedes-Zwillinge Anfang des 20. Jahrhunderts in New York genau gebaut wurden
Doch es dauerte bis zum Januar 1905, bis der erste American Mercedes auf der "National Automobile Show" im New Yorker Madison Square Garden vorgestellt werden konnte. Der erste Mercedes aus amerikanischer Fertigung, produziert von der "Daimler Manufacturing Company", ist im Wesentlichen eine Nachbildung des in Stuttgart gebauten Mercedes 45 PS. Angeboten wurde der als besonders schnell, leise und kraftvoll beworbene American Mercedes jedoch nur bis 1907. Sein Preis war mit 7.500 US-Dollar rund 3.000 Dollar günstiger als bei einem vergleichbaren Importmodell.
Der innovationsfreudige Kunde hatte bei seinem American Mercedes Siebensitzer mit Viergang-Handschaltung die Wahl zwischen zwei Radständen von 2,40 bzw. 2,60 Metern. Standard war die Farbe dunkelrot, die nur auf besonderen Wunsch geändert werden konnte. Praktisch: Die wichtigsten Verschleißteile wie Kolbenringe, Ventile oder Zündung gab es beim Kauf direkt auch als Ersatzteil mit dazu.
Technologisch gab Europa bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Schlagzahl vor. In Frankreich oder Deutschland wurden erste Autos in Wettfahrten eingesetzt. Und wenn ein Auto am Wochenende siegreich war, klingelte am Wochenanfang die Kasse des lokalen Autohändlers. Nicht viel anders sah es in den USA aus. Anfang 1907 gewann ein American Mercedes erstmals auf der Rennstrecke von Daytona/Florida. Wie zu erwarten stieg die Nachfrage nach Modellen des Typs American Mercedes über Nacht sprunghaft an.
Wäre da nur nicht der Großbrand gewesen, der die Produktion der American Mercedes in Astoria dem Erdboden gleichmachte. So kam das Ende schneller als erwartet. Pläne der Arbeiter, das komplett zerstörte Werk schnell wieder aufzubauen und die Produktion wieder anlaufen zu lassen, begrub man spätestens nach der Finanzkrise von 1907.
So wurden die Fahrzeuge von American Mercedes über Nacht Geschichte. Bis heute ist unklar wie viele amerikanische Mercedes-Zwillinge Anfang des 20. Jahrhunderts in New York genau gebaut wurden. Eines der verbliebenen Fahrzeuge jedenfalls steht im Mercedes Classic Center in Irvine/Kalifornien. Vielleicht sollte man Donald Trump einfach mal dorthin einladen ...
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