Mit Diesel- oder Hybridantrieben muss man den Brasilianern gar nicht erst kommen. Dort tankt man Ethanol. Den riesigen Landmassen sei Dank wird in Brasilien im großen Stile Zuckerrohr angebaut, dessen Bestandteile destilliert nicht selten den Weg in Zapfsäulen und Tanks der Autos finden. Die Motoren verbrennen den Kraftstoff dabei in einem beliebigen Mischungsverhältnis von Ethanol und Benzin.
Doch der lokale Siegeszug des Ethanol kommt seit einiger Zeit ins Stocken. Der Preisvorteil hat sich aktuell auf rund 30 Prozent reduziert. Immer mehr Autofahrer greifen derzeit zum E22-Kraftstoff, der eine rund 22 prozentige Ethanol-Beimischung in sich trägt. Aufgrund der in den vergangenen Jahren um den Faktor zwei bis drei gestiegenen Zuckerpreise verkaufen immer mehr Plantagenbesitzer ihr Zuckerrohr wieder für die Zuckerproduktion und nicht zur Herstellung von Ethanol.
Doch Brasilien steht nicht nur für Zuckerrohr, Ethanol und desolate Straßenverhältnisse. Auf dem viergrößten Automarkt der Welt gelten moderne Technik, Premiummodelle und Image vergleichsweise wenig. Rund 70 Prozent aller Autokäufer suchen ein Auto, das insbesondere günstig und praktisch ist. Hohe Steuern sorgen dafür, dass ein Billigmobil wie der Bestseller VW Gol, seit fast 26 Jahren unangefochten die Nummer eins auf dem lokalen Markt, bereits in der Einstiegsversion mehr als umgerechnet 11.000 Euro kostet.
"Wir haben von dem Gol bisher mehr als sieben Millionen Fahrzeuge produziert. Er ist ein Stück Brasilien", unterstreicht Thomas Schmall, Präsident von VW do Brasil. Ein anderer Bestseller kommt von Ford und wird ebenfalls in dem 190-Millionen-Einwohnerstaat südlich des Äquators produziert. Der beliebte Kleinwagen-Crossover Ford Ecosport kostet mit einem betagten 1,6-Liter-Triebwerk bereits fast 19.000 Euro. Anfang 2014 kommt der Ecosport auch nach Europa. Weitere Erfolgsmodelle heißen Fiat Siena/Palio, Renault Sandero, Toyota Etios, Chevrolet Corsa oder die kleinen Pick Ups wie Fiat Strada oder VW Saveiro Cross.
BMW und VW investieren
Größere Modelle wie beispielsweise der Marktführer in der Premium-Mittelklasse, die Mercedes C-Klasse, werden trotz des gigantischen Gesamtmarktes von über 3,5 Millionen Autos pro Jahr gerade 3.000 Mal verkauft. Audi hat im vergangenen Jahr kaum mehr als 5.000 Fahrzeuge in dem Flächenstaat verkaufen können.
Wer einen Audi A4 oder A6 auf den Straßen von Rio de Janeiro oder Sao Paulo sieht, der hat meist ein gepanzertes Fahrzeug vor sich. Kriminalität im Straßenverkehr ist nach wie vor ein heißes Thema, obwohl sich die politische und finanzielle Lage des Landes beruhigt hat. Die aktuelle Inflationsrate liegt bei 5,4 Prozent. Für die nächsten Jahre wird eine weitere Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage erwartet. Die beiden Großereignisse der Fußball-WM 2014 und der Olympiade in Rio de Janeiro im Jahre 2016 dürften dazu ebenfalls beitragen.
Premiumhersteller wie Audi, Mercedes und BMW wollen ihr Engagement in Brasilien ausweiten, um damit Mittelklassemodellen von Chevrolet, Volkswagen oder Toyota Marktanteile streitig zu machen. "Wir haben einen Investitionsplan für unser geplantes neues Werk bei der brasilianischen Regierung eingereicht", sagt Ian Robertson, Vorstandmitglied für Vertrieb und Marketing der BMW AG bei einem Treffen mit der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff.
Wenn alles glatt läuft, sollen ab 2014 pro Jahr 30.000 BMW-Modelle in dem neuen Werk in der Region Joinville/Santa Catarina vom Band laufen. Das würde die 2011er Verkaufszahl von rund 15.000 BMW-Fahrzeugen deutlich erweitern. Das Invest von 200 Millionen Euro würde über tausend neue Arbeitsplätze nach sich ziehen.
Notwendige Freiräume
Auch bei Audi und Mercedes ist eine lokale Produktion ein Thema. Nur dann kann man in Brasilien nennenswert Autos verkaufen und von den großen Steigerungsraten der nächsten Jahre profitieren. Zudem lässt sich von Brasilien aus auch der deutlich kleinere Nachbarmarkt Argentinien versorgen.
Bei Volkswagen, neben dem Fiat-Konzern der Platzhirsch in Brasilien, kann man über ein BMW-Invest von 200 Millionen nur schmunzeln. "Wir werden in Brasilien hochmoderne Produkte zum Einsatz bringen und gleichzeitig Spitzentechnologie lokal fertigen", sagt VW-Konzernvorstand Michael Macht, "im Rahmen unserer Produktionsstrategie werden unsere Werke weiter standardisiert und noch flexibler. Dies schafft die notwendigen Freiräume für die geplanten Investitionen von 3,4 Milliarden Euro bis 2016."
Hersteller wie BMW oder Volkswagen bestätigen dem lokalen Markt in Brasilien eine rosige Zukunft. "Brasilien ist für die BMW Group ein Markt mit großem Zukunftspotenzial. Daher bauen wir unser langfristiges Engagement dort aus", erklärt Robertson. "Die ganze Region Südamerika bietet hervorragende Perspektiven - und diese wollen wir als Volkswagen Konzern nutzen", sagt Christian Klingler, im VW-Vorstand verantwortlich für Vertrieb und Marketing.
Große Volumina lassen sich jedoch auch langfristig nur in den unteren Segmenten verwirklichen. Schließlich können sich in Brasilien nach wie vor knapp 40 Prozent aller Einwohner kein Auto erlauben. Von der soliden Wirtschaftslage hat in den vergangenen Jahren insbesondere die Mittelschicht profitiert. Die steht noch auf die günstigen Einsteigermodelle. Erst in den nächsten Jahren soll bis zu zehn Prozent der Kunden in höhere Segmente abwandern.
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