Die Lincoln Town Cars gehören zu den wenigen Eigengewächsen, die sich in den USA derzeit nicht die Reifen auf den Verkaufsgeländen platt stehen. Doch die Kundschaft der edlen Ford-Tochter Lincoln gilt zwar als durchweg treu - aber auch als gnadenlos überaltert. Kaum jemand unter 65 hat einen Town Car auf seinem Kaufzettel. Wer von den Jüngeren genügend Geld hat und dies nach außen hin unterstreichen möchte, der kauft sich seit Jahren ein Importmodell – zumeist aus deutscher Produktion. Dabei hat die edelste Möglichkeit, einen Amerikaner zu fahren, seit Jahrzehnten ihren ganz besonderen Reiz.
Die Bezeichnung Town Car stammt aus den frühen 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ähnlich den europäischen Landaulets war das amerikanische Town Car eine Karosserieform, bei der der Fahrer im Freien saß und lenkte. Die Herrschaften saßen in einem eigenen Fondabteil mit festem Dach und schwelgten in den entsprechenden Modellen von Bentley, Mercedes, Duesenberg oder eben Lincoln in größtmöglichem Luxus.
Nach dem Krieg erlebte der Begriff "Town Car" in den späten 60er Jahren seine Wiederauferstehung. Das ehemalige Topmodell Lincoln Continental war mit einer besonders edlen Ausstattung als Sondermodell auf den Markt gekommen und wurde mit dem Zusatz "Town Car" kenntlich gemacht.
Lange Versuchung
Doch erst Anfang der 70er Jahre wurde die Bezeichnung zum Inbegriff des automobilen US-Luxus. Elektrische Ledersitze, Klimaanlage, verlängerter Radstand und alle erdenklichen Extras bot der Lincoln Continental in der Ausstattungsvariante Town Car bereits ab Werk und wurde so zur Luxuslimousine der Schönen und Erfolgreichen zwischen Detroit und Los Angeles. Hotels schwenkten von Cadillac zu Lincoln und Banker in New York ließen sich fortan mit einem zumeist schwarz lackierten Town Car zur Arbeit oder dem kurzen Lunch am Mittag fahren. Im Laufe der Jahre wurde der Begriff "Town Car" weitaus geläufiger als der Begriff "Continental", der kurz darauf verschwand.
Die Automarke Lincoln, von Henry M. Leland und seinem Sohn Wilfried im Jahre 1917 gegründet, ging 1922 an die Ford Motor Company über. Bis Anfang der 90er Jahre wurde unter anderem der jeweilige amerikanische Präsident mit entsprechend gepanzerten Sonderversionen des Lincoln chauffiert. Mittlerweile setzt das Weiße Haus zumeist auf Produkte aus dem General-Motors-Konzern.
An Klientel und Anspruch des Lincoln hat sich in den vergangenen 25 Jahren kaum etwas geändert. Noch immer ist der Town Car – zusammen mit seinem Konkurrenten Cadillac DTS – das exklusivste und luxuriöseste Fahrzeug aus amerikanischer Produktion. In Europa kennen viele den Lincoln Town Car nur als weiße oder schwarze Stretch-Version - doch schon das Standardmodell gehört zu den längsten Serienfahrzeugen. Bereits das Basismodell ist mit 5,47 Meter Gesamtlänge ein gutes Schullineal länger als die Mercedes S-Klasse, der Audi A8 oder der 7er BMW – jeweils als Langversion, sei angemerkt.
Oppulent, aber preiswert
Trotz opulenter Dimensionen und Luxusausstattung bleiben die Amerikaner aber ihrer Linie treu, das Luxus nicht teuer sein muss. Das bereits exklusiv ausstaffierte Basismodell, der Lincoln Town Car Signature, kostet gerade mal 46.000 US-Dollar. Dafür gibt es einen seidenweichen 4,6-Liter-V8, 177 kW/240 PS und eine Höchstgeschwindigkeit von abgeregelten 180 km/h. Selbstverständlich sind elektrische Ledersitze, Klimaautomatik, Soundsystem und weitere standesübliche Annehmlichkeiten.
Noch mehr Luxus bietet der verlängerte Town Car Signature L (5,62 Meter lang) für knapp 52.000 US-Dollar. Dann gibt es Xenonlicht, Sitzheizung vorne und hinten, Keyless Go und 18 Zoll große Alufelgen. Optional wird der Lincoln sogar mit Vinyldach und goldenen Beschlägen angeboten.
Doch so edel die Town Cars auch ausgestattet sind: Hightech sucht man in ihnen vergeblich. Kopfstützen hinten, eine getrennte Klimaregelung, DVD-Entertainment, Xenonlicht, Luftfederung oder gar ein Navigationssystem sind im Serienumfang nicht enthalten. Das Fahrwerk ist butterweich, die Lenkung mit Wohlwollen schwammig zu nennen und die Schaltvorgänge übernimmt eine betagte Viergang-Automatik aus den frühen 80er Jahren.
Das 1998 eingeführte und 2003 überarbeitete Grundmodell verfügt immerhin über eine elektrische Heckklappe, eine Einparkhilfe hinten, elektrisch einstellbare Pedale und eine Schließanlage mit Zahlenschloss. Wer will, kann im Town Car nicht nur hinten, sondern auch vorn drei Personen befördern. Einfach die breite Mittelarmlehne nach hinten klappen und man ist – falls gewünscht – zu sechst unterwegs.
Alte Liebe
Zumeist ist eine derartige Limousine jedoch mit einem Fahrer im Volant sowie ein bis zwei Fondpassagieren unterwegs. Oder das wohl situierte Rentnerpärchen sitzt vorne Seit’ an Seit’ und legt hinten Jacken oder Golftasche ab. Die meisten Kunden wissen anscheinend auch ohne Nachhilfe, wohin es geht: Statt eines standesgemäßen Navigationsbildschirms gibt es im Lincoln Town Car eine klägliche Analoguhr und als Option allenfalls ein portables Navigationssystem aus dem Hause Garmin.
Kein Wunder, dass die rund zwei Tonnen schweren Town Cars den Sprung nach Europa oder Asien nicht geschafft haben. Fahrdynamik ist ihnen ebenso fremd wie jegliche Art von Modernität. Die betagten US-Kunden lieben ihre Lincoln-Modelle jedoch vielleicht gerade auch deswegen ohne Einschränkung und sind ihnen scheins auf immer und ewig verfallen.
Betrachtet man den Markt der Stretch-Limousinen in den USA, so besteht er zu mehr als 70 Prozent aus Town Cars. Unter den US-Luxuslimousinen haben sie einen noch höheren Marktanteil. Außer dem Cadillac DTS gibt es keine echte einheimische Konkurrenz.
So war die patriotische Entrüstung auch groß, als Ford vor ein paar Jahren laut überlegte, die Produktion des Town Cars einzustellen. Zwar wurde das ehemalige Werk in Michigan tatsächlich geschlossen - doch wird der Nobel-Lincoln seit kurzem auf den Anlagen von Ford Crown Victoria und Mercury Grand Marquis in Ontario/Kanada produziert. Doch kein Zweifel: Der Lincoln Town Car ist Kult und das dürfte auch noch ein paar Jahre so bleiben.
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