Seit 1979 baut Mercedes die G-Klasse bei Magna Steyr in Graz. Und seither gilt sie als Benchmark für komfortables Vorankommen auf der Straße, vor allem aber in selbst rauem Gelände. Während in den gut 40 Jahren seit Produktionsbeginn andere Modellreihen unter dem Stern erschienen und wieder verlöschten, ist die G-Klasse immer noch da. Rund 450.000 Stück wurden bislang gebaut. Aktuell sind die Auftragsbücher prall gefüllt und die G-Klasse ist bis Ende 2024 ausverkauft. Es gilt ein Bestellstopp. Immerhin: In zwei Jahren steht die vollelektrische Version an. Und Mercedes-Chef Källenius ist sicher: "So wie ich die Dinge sehe, würde ich sagen, dass der letzte Mercedes, der gebaut wird, eine G-Klasse sein wird."
Mercedes G-Klasse G-Turn |
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Noch wird sie mit ein paar in Tarnfolie gepackten Prototypen rund um den Globus getestet. Aber eine erste Mitfahrt auf einem brutalen Offroadgelände in der Nähe des Südfranzösischen Narbonne lässt zumindest schon erahnen, was da langsam Gestalt annimmt. Zumindest an der kantigen Form der Ikone wird sich dabei wohl wenig ändern. Eine geschlossene Front statt eines überflüssig gewordenen Kühlergrills wahrscheinlich, dazu überarbeitete Scheinwerfer. Die Prototypen sind auf 18-Zoll Falken Wildpeak A/T 265/60 Reifen unterwegs, die wohl auch in der Serie montiert sein werden. Innen gibt es auch nicht allzu viele Veränderungen. Das weitgehend abgedeckte Armaturenbrett der Prototypen scheint jedenfalls ähnlich geradlinig zu werden wie bei der aktuellen G-Klasse.
Die elektrische G-Klasse baut nicht auf der Modularen Elektro-Architektur (MEA) oder der EVA II-Plattform auf, sondern auf einem klassischen Leiterrahmen
Unter der Fronthaube gibt es keinen Verbrennungsmotor mehr – wäre also eigentlich genug zusätzlicher Stauraum. Doch da haben die Ingenieure lieber Elektronik und elektrische Leitungen untergebracht – so eine "hohe Ladekante" sei eh niemandem zuzumuten
Aber rein elektrisch ins Gelände? Passt das, oder ist das der Untergang des Abendlandes? Das passt sogar sehr gut, wie bereits der Prototyp zeigt.
Denn der Stromer ist eigentlich ideal konzipiert für ruppige Offroad-Einsätze. Das fängt mit den Lithium-Ionen-Akkus an. Die sind in den robusten Leiterrahmen aus bis zu 3,4 mm dickem Stahl integriert. Die elektrische G-Klasse baut nicht auf der Modularen Elektro-Architektur (MEA) oder der EVA II-Plattform auf, wie die anderen E-Autos von Mercedes, sondern auf einem klassischen Rahmen. Der bietet zwischen den Achsen und innerhalb des Rahmens genügend Platz für die Stromspeicher. Querstreben mussten dem Akku-Pack weichen, das auch strukturelle Aufgaben übernimmt. Das macht die Karosserie nicht nur noch einmal deutlich verwindungssteifer, es sorgt zudem für einen niedrigen Schwerpunkt. Selbst bei extremen Neigungswinkeln bleibt die G-Klasse so auf dem Boden.
Über ein schaltbares Getriebe lässt sich eine Geländeuntersetzung darstellen und der Offroader in einen extra fürs Grobe gedachten Low Range Modus bringen
Um die Akkus, die aus dem Konzernregal kommen und auch in den anderen elektrischen Mercedes-Modellen verbaut werden, besonders zu schützen, haben die Entwickler sie für Flussdurchfahrten wasserdicht gemacht (die Wattiefe der aktuellen G-Klasse liegt bei 70 Zentimetern) und extra robuste Unterboden-Abdeckungen aus einem extrem widerstandsfähigen Material entwickelt. Gleich ein Halbes dutzend Mal setzte unser Prototyp absichtlich hart auf Fels und Stein auf – unbeschadet.
Hilfreich im Gelände auch die Konstruktion mit vier einzeln ansteuerbaren Elektromotoren nahe den Rädern. So lässt sich Schlupf ganz fein und individuell elektronisch je nach Untergrund austarieren. Dazu kommt, dass das maximale Drehmoment – für ein Elektroauto typisch – praktisch ab der ersten Umdrehung anliegt. Über die Leistungswerte selbst – PS und Drehmoment – mag man bei Mercedes zu diesem frühen Entwicklungsstadium ebenso wenig sagen wie zu den Fahrleistungen. Nötig waren tiefgreifende Änderungen an der Starachse hinten. Bei der vorderen Einzelradaufhängung ließen sich die Elektromotoren dagegen leichter adaptieren.
In jedem Fall aber arbeitet sich das elektrische Kantholz auch auf extrem steilen und rutschigem Untergrund unaufhaltsam nach Oben – die Steigfähigkeit liegt bei bis zu 100 Prozent. Über ein schaltbares Getriebe lässt sich eine Geländeuntersetzung darstellen und der Offroader in einen extra fürs Grobe gedachten "Low Range Modus" bringen. Dann gibt es drei Setups: D- beschränkt die Geschwindigkeit auf drei, D auf fünf bis sechs und D+ auf maximal acht km/h. Das macht die Geländefahrt erkennbar präziser als bei zentral angetriebenen Hardcore-Offroadern wie Jeep Wrangler, Land Rover Defender oder Toyota LandCruiser. Das gilt auch für die Bergabfahrt im Vergleich zu üblichen Hill Descent Control-Systemen – die e-Motoren reagieren deutlich schneller und genauer wie herkömmliche Bremsen.
Ob das "Karussel" später auch in der Serienversion eingebaut ist, bleibt abzuwarten
Als kleiner Nebeneffekt sorgt der Einsatz von vier Motoren für vier Räder auch für eine deutlich präzisere und engere Kurvenfahrt. Da jedes Rad unabhängig ansteuerbar ist, lässt sich seine Umdrehung mit zur Lenkung nutzen. Zumindest beim Prototypen geht das so weit, dass er sich auf der Stelle drehen kann – Wendekreis = Fahrzeuglänge. Erreicht wird das vom Prinzip her wie bei einem Panzer: Zwei Räder drehen sich vorwärts, die zwei anderen rückwärts. Ein Druck auf den entsprechenden Knopf am Lenkrad - und über die beiden Paddel am Lenkrad lässt sich dirigieren, in welche Richtung die wilde Karusselfahrt geht und wie lang.
Aktuell funktioniert das dank einer elektronischen Sperre rein im Gelände und auf sandigem Untergrund – auf Asphalt wären die Kräfte zu stark, die auf Reifen und Mechanik einwirken. Ob das "Karussel" später auch in der Serienversion eingebaut ist, bleibt allerdings abzuwarten.
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