"Kassel? In Nordhessen? Bist du dir da ganz sicher?" Ferrari-Besitzer moderner oder klassischer Modelle dürften die ungläubige Nachfrage kennen. Das erste Mal, wenn einem die Adresse von Deutschlands bekanntestem Ferrari-Händler Helmut Eberlein genannt wird, stellt sich zwangsläufig die Frage: "Warum Kassel?" Geografen würden sagen, dass dieser Standpunkt logistisch gesehen sehr clever gewählt ist: mitten in Deutschland, gerde mal 75 Kilometer westlich vom Nabel der Republik.
Allerdings spielte dieser Gedanke bei der Ortsfindung vor rund 40 Jahren überhaupt keine Rolle. Den heute 64jährigen Helmut Eberlein zog es aus Berlin kommend irgendwann nach Kassel - und dort blieb er.
Nach der Ausbildung zum Maschinenbauer folgte die staatliche Prüfung zum Feinwerkmechaniker. Parallel dazu verdiente sich Eberlein ein paar Mark als Pfleger im Tierpark von Bad Wildungen, bis er 1975 einen kleinen Motorradfachhandel eröffnete. Damit machte er sein Hobby zum Beruf, denn nebenbei fuhr er internationale Motorcross- und Straßenrennen. Nach zwei schweren Stürzen 1983 und 1987 war damit jedoch Schluss.
Zu dem Zeitpunkt hatten sich zu den Zweirädern bereits Autos der Marke Suzuki gesellt. Etwas später folgten die ersten Italiener von Alfa Romeo. 1989 mussten die Japaner den italienischen Zwölfendern aus Maranello komplett weichen - denn das war die Bedingung, die Ferrari machte: Das Autohaus Eberlein wurde zu einem der ersten offiziellen Ferrari-Vertragshändler in Deutschland.
Für das Standortproblem Kassel hatte Helmut Eberlein schnell eine Lösung parat: Nach dem Motto "wenn der Ferrari zur Reparatur nicht zu mir kommt, dann hole ich ihn mir", richtete er einen Hol- und Bringservice ein. Finanziell lohnte sich das natürlich nicht bei jeder Tour, die quer durch Deutschland führen konnte. Bei potentiellen Kunden das mehr wert als viele Reparaturen zusammen.
Bei klassischen Modellen gibt es viele Indikatoren, die auf die Originalität schließen lassen
Neben diesem besonderen Service brachte er sich in der Ferrari-Szene aber auch dadurch ins Gespräch, dass er - anfangs mit einem eigenen Team - seit Beginn an der 1992 ins Leben gerufenen Ferrari Challenge teilnahm. Diese Liebe und positive Verrücktheit gegenüber der Marke mit dem Cavallino Rampante, dem springenden Pferd, prädestiniert ihn seit 2006 als offiziellen Vertreter von Ferrari Classiche in Deutschland.
Das Ferrari Classiche Zertfikat mit einer Unterschrift von Pierro Ferrari selbst wird zwar von Ferrari Classiche in Maranello ausgestellt. Eberlein ist jedoch befugt, die Prüfung durchzuführen und stellt das Fahrzeug dann im Werk vor, ohne dass es physisch anwesend sein muss. In Maranello gibt es ein Gremium unter Vorsitz von Piero Ferrari, das jeden einzelnen Fall absegnen muss. Danach erhält Eberlein das Zertifikat, das er seinem Kunden aushändigt.
An diesem Punkt kommt mit Thomas Kunz einer der standortältesten Mitarbeiter ins Spiel. Der Fachmann für das genaue Examinieren, aus welchen Teilen ein vorgestellter Ferrari nun wirklich besteht, ist einer der wichtigsten Personen im Betrieb. Warum Kunz für die Marke Eberlein so wichtig ist, erklärt der Geschäftsführer in einem Satz: "Er ist der beste auf seinem Gebiet."
Bei klassischen Modellen gibt es viele Indikatoren, die auf die Originalität schließen lassen. Dazu gehören zum Beispiel die Motornummer außen am Gehäuse und eine werksinterne Nummer, die seit 1947 bei Ferrari hinterlegt ist und zeigt, ob ein Motor echt ist. Hinzu kommt die Karosserienummer, die jeder Ferrari-Typ an einer anderen Position trägt und die nicht gerade seltenen unter einer dicken Lackschicht verborgen ist. Thomas Kunz kennt sie alle.
Auch gebrauchte Ferraris für Menschen mit kleinerem Geldbeutel stehen hier dicht an dicht
Wer heute einen Blick in die Werkstatt wirft, die durch große Glasscheiben vom Verkaufsraum einzusehen ist, wird daher nicht selten Millionenwerte zu Gesicht bekommen. Ob nun ein auseinandergebauter Ferrari Enzo, der im Ganzen ein paar Meter weiter für 990.000 Euro angeboten wird, ein seltener F40, ein 512 M oder ein Dino - zu Eberlein kommt alles, was mit Ferrari zu tun hat. Derzeit parkt sogar ein La Ferrari, einer der ersten überhaupt in Deutschland, unter einem roten Tuch und mit einem grünen Absperrband "Hybrid Car Area" umrahmt in der Werkstatthalle.
Neben den funkelnden Neuheiten im Verkaufsraum, deren Preise zumeist jenseits der 150.000 Euro-Marke liegen, stehen in einer erst vor kurzem fertiggestellten Halle und im Untergeschoss noch jede Menge weiterer automobiler Schönheiten. Dort können zum einen Kunden von Helmut Eberlein ihre Fahrzeuge überwintern lassen. Zum anderen stehen dort auch Fahrzeuge seiner privaten Sammlung. Sein letzter Privatkauf ist erst vor kurzem hinzugestoßen: Ein 308 GTB, der 30 Jahre lang von Zeitungen bedeckt in einer Garage stand - was ihm durchaus an einigen Stellen anzusehen ist. Aber auch gebrauchte Ferraris für Menschen mit kleinerem Geldbeutel stehen hier dicht an dicht.
Und damit ihm kein Kunde, ob mittel- oder schwerreich, entgeht, gibt er jedem, der durch das große rote Eingangsportal hereinkommt, ein Gefühl, willkommen zu sein. "Mir ist wichtig, dass jeder so behandelt wird, als wenn er mit einem unserer Fahrzeuge nach Hause fahren könnte. Die meisten sind zugegebenermaßen Stammkunden und - liebevoll formuliert - alle ein bisschen verrückt."
Er legt ganz offensichtlich Wert auf andere Dinge. Dinge wie Ehrlichkeit, Gespräche ohne Zeitdruck
Hinzu kommt, dass der eine oder andere gut betuchte Interessent es auch drauf anlegt und im Schlabberlook hereinkommt. Doch damit hat Helmut Eberlein, der wie alle seiner Angestellten nicht hochnäsig im edlen Armani, sondern bodenständig in Jeans und firmeneigenem Pullover durch die Verkaufsräume wandelt, noch nie Probleme gehabt.
Er legt ganz offensichtlich Wert auf andere Dinge. Dinge wie Ehrlichkeit, Gespräche ohne Zeitdruck oder auch ein simples "Setz Dich doch einfach mal in einen echten Ferrari, mein Junge" kommen bei seinen Kunden offensichtlich an und verleiten sie regelmäßig zum Kauf neuer Sportwagen. So wundert es nicht, dass auch drei originale Fußballtrikots ehemaliger Bundesligaprofis ihren festen Platz bei Eberlein gefunden haben. Auf einem ist zu lesen: "Ich habe eindeutig zu viel Geld bei Dir gelassen, aber Deine Autos sind leider gut. Vielen Dank!"
Helmut Eberlein hat es geschafft, dass auch die ganz Großen ihm immer wieder vertrauen. Besonders stolz ist er daher auch auf seine schwere Armbanduhr des Typs Panerai Ferrari Scuderia FER00009. "Die hat mir Jean Todt, der Präsident des Welt-Automobilverbands FIA, geschenkt", verrät er, während er sich genüsslich das aus eigener italienischer Produktion hergestellte Olivenöl über seinen Salat gießt. Solange das richtige Öl im richtigen Gefäß landet, wird bei Eberlein auf lange Sicht nichts schiefgehen.
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