Das Jagen von Prototypen hat sich in den vergangenen 20 Jahren zu einem heißen Geschäft entwickelt. Wer zu einem frühen Zeitpunkt das Volumenmodell eines Autoherstellers "abschießt", der bekommt schnell ein paar tausend Dollar oder Euro. Brendy Priddy gehört zu der Handvoll Erlkönigjäger, die die Autohersteller besonders nerven, indem sie den geheimen Fahrzeugen in den USA auflauert.
"Ich fotografiere Autos. Genauer gesagt Vorproduktionsfahrzeuge. Also zwei drei Jahre bevor sie auf den Markt kommen", erklärt die zweifache Mutter, als wäre es ein Hobby. Doch die in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona lebende Brenda Priddy verdient mit ihren Fotos viele Dollar im Jahr. Allerdings scheint es ihr darum gar nicht zu gehen. Es ist vielmehr der Nervenkitzel, der sie Tag für Tag antreibt, die streng geheimen Automobile in der Testphase zu jagen.
Und wie bei einem Jäger reicht der heute 53-Jährigen so manches Mal auch schon ein guter Schuss. Dass der eine Schuss gut sitzen muss, liegt jedoch nicht an ihrer Kamera. Es liegt eher daran, dass die Autotester und Ingenieure sie mittlerweile erkennen - und nicht gerade mögen.
Denn in der Automobilbranche geht es um vieles - vor allem aber um Design. Ein bereits Jahre vor dem eigentlichen Marktstart in der Presse auftauchendes Foto ist wie ein Hieb in die Magengrube und trifft das Marketing des Herstellers oft hart. "Zudem haben die testenden Ingenieure Angst um ihren Job", erklärt sie die feindliche Stimmung gegen sich.
"Ich bin keine große, blonde Sexbombe oder so ähnlich. Ich bin eine Mutter"
"Ich hatte schon eine gebrochene Nase, da man mir meine Kamera ins Gesicht geschlagen hat. Ansonsten wurden Steine nach mir geworfen und meine Kamera auf den Boden geschleudert", erklärt Brenda Priddy. "Ach ja: ein paar Franzosen haben mir ihren nackten Hintern gezeigt", ergänzt sie.
Den schlimmsten Zwischenfall gab es mit einem deutschen Hersteller. Sie war mit ihrem 14-jährigen Sohn auf einem völlig leeren Parkplatz, als ein Auto auf ihn zuraste und beinahe überfuhr. Durch Zufall hat ihr Sohn die Szene auf Video aufgenommen, das sie dann nicht der Presse, sondern dem Hersteller selbst zuschickte.
Normalerweise trägt sie eine Baseballmütze mit der Aufschrift "espionage" gegen die hoch stehende Sonne im Tal des Todes. Die größte und bislang effektivste Tarnung war die Benutzung eines anderen Autos als sonst - das ihres Sohnes. Ihren größten Vorteil sieht sie jedoch in ihrem eigenen Erscheinungsbild: "Ich bin keine große, blonde Sexbombe oder so ähnlich. Ich bin eine Mutter. Auf den ersten Blick werde ich zumindest nicht als Auto-Paparazzi erkannt. Und wenn es Sonntag ist, putze ich mich ein wenig heraus, so dass jeder glaubt, ich käme gerade von der Predigt."
Die große Frage, die sich jeder Paparazzi, ob nun Promi- oder Auto-Fotograf, stellen muss: Wo taucht der Gesuchte als nächstes auf? Bei Autos scheint dies allerdings etwas einfach zu sein als bei Menschen. "Die Hersteller müssen ihre Tests in sehr hohen Bergregionen und in sehr heißen Wüstenabschnitten fahren. Normalerweise fahren sie immer dieselben Strecken. Zudem gibt es zum Beispiel nahe Las Vegas streng geheime Garagen", verrät sie. Der große Unterschied zwischen ihrer Arbeit und der von VIP-Fotografen: "In meinem Job gibt es keine rasanten Verfolgungsjagden."
"Doch wenn ich Spion spiele durchlaufe ich einen kompletten Persönlichkeitswechsel - und ich liebe es"
Zum Job selbst ist Brenda Priddy, die in ihrem vorherigen Leben den ruhigen Job einer Buchhalterin ausübte, durch Zufall gekommen. "Ich bin mit meinen beiden Kleinkindern durch die Nachbarschaft gefahren und sah plötzlich eine Reihe von leicht getarnten Erlkönigen auf dem Parkplatz eines Lebensmittelgeschäftes. Weil ich dachte, dass meinen Mann das bestimmt interessieren würde, bin ich schnell nach Hause gedüst, habe die Kamera geholt und ein paar Fotos gemacht. Das war Anfang 1992 - und die Fahrzeuge waren die 1994er Mustangs", schwärmt sie von ihrem ersten Spy-Shot.
Ihr Mann bot die Bilder dem Automobile Magazine an und bekam unverzüglich die Antwort "nein". Doch sie ließen nicht locker und schickten die Bilder in die Redaktion. Mit dem Ergebnis, dass eines der Bilder zum Titelbild der Novemberausgabe wurde.
Angefixt von diesem Moment nahm sie täglich eine Tasche mit einer Kamera und Funkgeräten mit zur Arbeit. Sobald sie einen Anruf bekam, dass in ihrer Nähe wieder ein getarntes Fahrzeug unterwegs war, verlegte sie kurzerhand ihre Pause, fuhr los, machte das Foto und kam zurück zur Arbeit. Als dann die ersten Aufträge aus Europa kamen, wuchs die Idee, das Ganze hauptberuflich zu machen. Gut ein halbes Jahr nach dem ersten Schuss war es dann soweit.
Das ist nun 21 Jahre her. "Am Anfang waren mein Mann und ich so paranoid, dass ich - kurz bevor ich nach Hause kam - ihn anrief, um ihn zu bitten, die Garagentür aufzusperren, damit ich schnell hineinfahren kann. Die Filme und Negative haben wir sogar unter der Mikrowelle versteckt", verrät Brenda Priddy. Heute sieht sie das Ganze etwas gelassener. Oder wie sie es gern ausdrückt: "Eigentlich bin ich sehr schüchtern und ruhig. Doch wenn ich Spion spiele durchlaufe ich einen kompletten Persönlichkeitswechsel - und ich liebe es."
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