China ist eine andere Welt. Da macht die größte Automesse Asiens keinen Unterschied zum normalen Leben. Der Verkehr auf den Straßen von Peking ist eine alltäglich wiederkehrende Katastrophe. Per Smartphone-App kann man den Smog-Index der Stadt ermitteln, er lag schon am Vortag der Peking Motor Show bei 217. Ab 300 lautet die Empfehlung "Don’t go out" – lieber drinnen bleiben.
Dichtes Gedränge herrscht auch in den Messehallen im wenig ansehnlichen Shun Yi Distrikt. So wie die Verkehrsteilnehmer in gelbbraunen Taxis, dunklen Limousinen oder alljährlich größer werdenden Geländewagen gegeneinander kämpfen, Lücken blockieren und Kreuzungen versperren, so sieht es auch in den Hallen aus. Rücksicht ist nicht die Sache der Chinesen. Während die Pressekonferenzen auf den großen Autoshows in den USA, Japan oder Europa schiedlich, friedlich nacheinander stattfinden, tönt man zwischen den einzelnen Hallen in Peking gerne gegeneinander. Als in Halle E1 gerade noch die Neuheiten von Honda und Acura feilgeboten werden, berichtet der China-Chef von Hyundai lautstark vom Markterfolg der letzten zehn Jahre.
An den Messeständen räkeln sich derweil opulent aufgebretzelte Messemodels. Nicht selten posieren sie an Stufenhecklimousinen und Geländewagen in schlecht sitzenden Kostümen und Schuhen um die Wette. Die Peking Motorshow 2012 steht im Zeichen von Crossovern und Geländewagen wie kaum eine Veranstaltung vor ihr.
Dafür sorgt nicht nur der rot strahlende Messestar Lamborghini Urus, die 600 PS starke Studie eines Sport-Crossovers, sondern auch ein paar Meter weiter der ähnlich bullige Bentley EXP 9 F oder der Porsche Cayenne GTS. Ob BMWs X1, die auch nach 33 Jahren noch immergrüne Mercedes G-Klasse mit bis zu 612 PS, der neue Mazda CX-5, die beiden Studien des Audi Q3, der kleine Ford Ecosport oder der Ausblick auf Peugeots Urban Crossover Concept: Die SUV ziehen in Peking alle Aufmerksamkeit auf sich.
Schamlos abgekupfert
Die Chinesen schlagen bei ihrem Heimspiel im gleichen Segment zurück. Schamlos wird der Hummer H1 von Dongfeng als HUV EQ 2050M3D abgekupfert oder der jüngst überarbeitete BMW X1 alles andere als zufällig durch den Brilliance V5 gedoppelt. Mehr als frech ist auch das schon vom Vorjahr bekannte Hawtai-SUV, das dem Porsche Cayenne zum Verwechseln ähnlich sieht – nur eine Nummer kleiner mit einem 1,8 Liter großen 160-PS-Vierzylinder. Auch wenn der lokale Markt eigenständiger und die Designer selbstbewusster geworden sind: Plagiate sind im Land der unbegrenzten automobilen Möglichkeiten noch immer ein Renner.
Wurden im Jahre 2002 in China gerade einmal 700.000 neue Autos verkauft, so werden es in diesem Jahr rund 18 Millionen sein. Ein Ende des Aufwärtstrends ist allen wirtschaftlichen Unkenrufen zum Trotz nicht abzusehen. Insbesondere die jüngeren Einwohner der wachsenden Metropolen – allein 100 Städte in China haben mehr als fünf Millionen Einwohner - rücken in den Fokus. Mehr als 40 Prozent aller Autokäufer sind nach 1980 geboren.
"Wir wollen unser Angebot insbesondere an junge Kunden richten, denen Styling wichtig ist und die das Geld auch ausgeben wollen", sagt Paul Sevin, verantwortlich für das Marketing bei Seat. Die Volkswagen-Marke hat vor kurzem ihr China-Debüt gefeiert. Der VW-Konzern hat in China die Hosen an. Der Marktanteil liegt bei fast 20 Prozent und die meisten Modelle laufen prächtig. Da sind Weltpremieren wie der neue VW Lavida wichtiger als Image-Auftritte von Bugatti Veyron Grand Sport Vitesse oder Lamborghini Urus.
Elektrisierende Träume - hier und da
China ist ein Limousinen-Markt. Für Kombis oder Coupés kann sich kaum jemand erwärmen. So ist die Zahl der Limousinen-Premieren bei chinesischen Herstellern wie Great Wall, GAC, ZX Auto, Dongfeng, Luxgen oder Geely schier unüberschaubar. Mit der Langversion des BMW 3er oder einem Ausblick auf den Mercedes CLA, einen kleinen Bruder des CLS, lassen die deutschen Hersteller ebenfalls ihre Muskeln spielen. Eine Nummer kleiner gibt es den Mazda2 mit Stufenheck, den neuen Fiat Viaggio oder den Toyota Corolla zu bestaunen.
Elektroautos und Plug-In Hybride stehen zwar hier und da im Rampenlicht, doch oft bleiben es Konzeptautos - und viele Chinesen misstrauen bislang noch der Technik. Ausgerechnet der Vorzeige-Produzent BYD, der mit staatlicher Förderung die Elektromobilität durchpeitschen soll, hat wegen technischer Probleme ein schlechtes Image bei den Käufern. Hybridmodule interessieren zumindest etwas, während viele einheimische Neuerscheinungen mit wilden Buchstabenkombinationen erst einmal den Einsatz von Direkteinspritzung oder Turboaufladung feiern. Immerhin zeigt Audi seinen A6 e-tron Concept und BMW die sehenswerte Studie des i8 Spyder. So bleiben in Peking zumindest ein paar elektrisierende Träume zurück.
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