Vormittags zwischen acht und 11 Uhr ist es besonders schlimm. Dann fällt eine Schar von Kleinlastern Marke Mercedes Sprinter, VW Crafter und Fiat Ducato über die Innenstadtbereiche zwischen Kiel und Oberstdorf her. Die zumeist alles andere als einfallsreich lackierten Paketwagen und ihre Fahrer nerven – die Polizei schaut tatenlos zu. Der eine bringt wichtige Arzneimittel in die Ahorn-Apotheke, ein anderer packt in aller Seelenruhe ein paar Harry-Potter-Bücher auf einen Paketwagen.
Die Autofahrer hupen und schimpfen – die Lage ist angespannt. Nach Minuten des Wartens ist das Hindernis endlich überholt. Doch das Einscheren hinter der mobilen Verkehrsinsel auf die rechte Spur kann man sich in einer norddeutschen Großstadt wie Hamburg gleich sparen. Denn nur 100 Meter weiter hüpft gerade ein braun gekleideter Paketbote aus einem gleichfarbigen Ungetüm mit Schiebetüren. Die rechte Spur ist wieder dicht. Auch er trägt mit Würde und ohne jede Anmut zwei mächtige Pakete mit einem Gesamtgewicht von sicher mehr als zwei Kilogramm in ein verlassen aussehendes Mobilfunkgeschäft. Erst nach drei Minuten kommt er wieder heraus und wurstelt eine gefühlte halbe Stunde im Laderaum des Transporters umher. Dann fährt er 30 Meter weiter und hüpft vergnügt ins nächste Geschäft.
ADAC-Sprecher Maximilian Maurer äußert Verständnis für die Zweite-Reihe-Parker – bis zu einem gewissen Grad: "Paketfahrer oder Apothekenlieferanten müssen ja irgendwie ihren Job machen. Die Verkehrssituation in den Innenstädten ist mittlerweile so, dass es für diese Leute oft viel zu lange dauern würde, zum nächsten freien Parkplatz zu fahren", sagt der Verkehrsexperte. Er habe allerdings kein Verständnis dafür, wenn private PKW ebenfalls in zweiter Reihe parkten und damit keine Rücksicht auf andere Autofahrer nähmen. "Auch Berufskraftfahrer haben das Parken in zweiter Reihe manchmal so intus, dass sie gar nicht erst nach anderen Parkmöglichkeiten Ausschau halten, selbst wenn es in unmittelbarer Nähe welche gäbe", sagt Maurer.
Der Verkehr stockt. Egal ob am Hamburger Jungfernstieg oder auf der Münchner Prinzregentenstrasse – die Lieferdienste setzen anscheinend nicht nur auf der Autobahn auf eine eingebaute Vorfahrt sondern bringen den Verkehr in den Innenstädten durch rücksichtloses Parken auch nahezu zum Erliegen.
Nadelöhr
Besonders schlimm sieht es aus, wenn parallel zur Straße noch eine oberirdische Straßenbahnlinie verläuft. Dann wird die zweispurige Fahrbahn zum undurchdringlichen Nadelöhr für alle Beteiligten. Wer glaubt, dass DHL, Blumendienste oder UPS auf den Verkehrsfluss Rücksicht nehmen würden, der irrt. Es ist längst zur Selbstverständlichkeit geworden, dass der Anlieferer direkt vor dem Geschäft die Straße blockieren darf. Der Kunde geht schließlich vor.
Wer sich bei der Wildparkerei von Ordnungshütern erwischen lässt, riskiert übrigens ein Bußgeld. Schon wenn man nur in zweiter Reihe hält, kann man mit 15 Euro dabei sein. Wer sein Auto verlässt oder länger als drei Minuten hält, der parkt – und dann wird es im Ernstfall noch teurer. 20 Euro sind beim Parken in zweiter Reihe fällig. Behindert man dabei den Verkehr und parkt länger als eine Stunde, wächst das Bußgeldkonto auf 35 Euro.
Taxifahrer allerdings dürfen in zweiter Reihe parken, um Fahrgäste aussteigen zu lassen – vorausgesetzt, dass der Verkehr nicht behindert wird. Weitere Ausnahmen regelt § 35 der Straßenverkehrsordnung (Sonderrechte). So sind etwa Fahrzeuge der Feuerwehr, Polizei oder Bundeswehr von den Vorschriften der StVO – und damit natürlich auch von Parkverboten - befreit, wenn sie dringliche hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Das gleiche gilt für Rettungswagen im Notfalleinsatz, Messfahrzeuge der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (also nicht für Paketautos), Straßenreiniger und die Müllabfuhr.
Blaulicht gefällig?
Waren es anfangs nur Paketwagen oder Kleinlaster, die sicher dringend benötigte Schaumstoffmatratzen in das Warenlager einer Discountkette transportierten, so haben sich das lasche Vorgehen von Polizei und Ordnungsbehörden längst auch Pizzaboten, Apothekendienste und asiatische Lieferservices zunutze gemacht.
Einen Parkplatz zu suchen, ist in den Innenstädten fraglos ein Problem. Da kann man es auch gleich sein lassen und den Wagen direkt vor der Hausnummer seines Vertrauens abstellen. Dass es danach zu Fuß in die vierte Etage geht oder die richtige Hausnummer erst mühsam abgeklingelt werden muss, scheint für die Erreger ohne Belang zu sein. Wie wäre es da noch mit einem Blaulicht auf dem Dach? Die meisten Lieferungen sind schließlich schrecklich eilig.
|