Der Weg ist das Ziel - das gilt vor allem dann, wenn man mit dem Camper unterwegs ist. Doch das entspannte Reisen in der alltagstauglichen Edel-Datsche auf Rädern hat so seinen Preis.
[+] Für längere Touren geeignet, tauglich auch als Alltagsfahrzeug, üppiges Raumangebot, hohe Variabilität, ausgezeichnetes Fahrverhalten, große Reichweite, sehr gutes Hochbett
[-] Fehlende Getränkehalter, teure Extras, hoher Preis, zum Teil umständliche Bedienung
Wer seine Kindheit in Etagenbetten verbracht hat, der ist eindeutig im Vorteil: Vor den geruhsamen Schlaf haben die Entwickler des Mercedes Marco Polo erst einmal eine sportliche Kletterpartie gesetzt. Mit dem linken Fuß auf die Sitzfläche des Fahrersitzes, den rechten auf die Armlehne des Beifahrersitzes - hochziehen. Dann den linken Fuß auf die Fahrerlehne neben die Kopfstütze - hochziehen. Mit dem Hintern auf den Rand des Lattenrosts, zurücklehnen und 180-Grad-Drehung mit gleichzeitigem Schieben des müden Körpers Richtung Bettmitte. Das war's. Von jetzt an ist's bequem und wohlig wie es sich für ein Bett gehört. Und eine Leiter für den Aufstieg hätte eh nur Platz weggenommen.
Denn merke: Der Mercedes-Benz Marco Polo ist kein ausgewachsenes Wohnmobil. Keine Chemie-Toilette, kein Dusch-Abteil mit Warmwasser-Hebel, kein Flachbildschirm mit Kabelanschluss, kein Kleiderschrank, in dem die Hosen ihre Falten aushängen können. Der Marco Polo ist ein Camper. Drei, vier, sechs Wochen im Jahr kann man damit durchaus komfortabel durch Europa cruisen und hat den Rest des Jahres mit ihm einen alltagstauglichen Luxus-Van mit Platz für Großeinkäufe und halbe Schulmannschaften, für Konferenzen auf der Baustelle und der Option, sich nach einem OpenAir-Konzert nicht die halbe Nacht im Stau der abreisenden Fans zu ärgern, sondern auf dem Stadion-Parkplatz noch gemütlich ein Glas Rotwein zu genießen und dann einen Stock höher ins eigene Bett zu steigen. Siehe oben.
Wer den gerade frisch von Mercedes-Benz aufgelegten Marco Polo gerecht beurteilen will, der macht das tunlichst in zwei Blöcken: Einmal das Fahrzeug selbst, ein V-Klasse-Van der Schwaben, und dann die Einrichtung, die vom Camper-Pionier Westfalia kommt.
Los geht's mit dem Van. Die V-Klasse ist nicht gerade billig - aber für entspannte Urlaubsfahrten dann doch auch nicht zu teuer. Der Test-Van, ein 250 BlueTec mit 140 kW/190 PS starkem Diesel, hat damit die aktuell stärkste Motorisierung der V-Klasse und kostet schon ohne Camping-Einrichtung und Hubdach mindestens 48.314 Euro. Wer all das rein packt, mit was der Testwagen das Reisen angenehm macht, der braucht es unter 60.000 gar nicht erst versuchen. Dafür gibt es zuhause und auf Urlaubstour dann allerdings auch Entspannung pur.
Im "eco"-Status geht alles etwas relaxter und auch der Mercedes fühlt sich im Freizeitmodus
Das Cockpit vermittelt durch sein edeles Ambiente, die tadellose Verarbeitung und die hochwertigen Materialien das Mercedes-Gefühl, in einem leicht fahrbaren SUV zu sitzen - nicht in einem Zweieinhalb-Tonner mit gut über fünf Metern Länge. Die Automatik schaltet butterweich, die Lenkung ist exakt und präzise, die Sitze bequem, das Fahrwerk selbst von Neben-Neben-Straßen unbeeindruckt. Enge Dörfer in Slowenien? Kein Problem, solange die Gasse ein paar Zentimeter breiter ist als der Mercedes mit seinen knapp zwei Metern. Enge Kurven? Das Dickschiff ist erstaunlich wendig. Einparken am Touristenhügel? Dank Rückfahrkamera auf den Zentimeter machbar. Dazu kommt ein Gefühl von wuchtiger Sicherheit.
Auch die Fahrwerte passen: 206 km/h schafft die rollende Datsche als Höchstgeschwindigkeit, die 480 Nm maximales Drehmoment sorgen für flotte Beschleunigung. Wenn man will und kaputtes Geschirr riskiert, ist man in 9,1 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Die Hälfte aller VW Gölfe braucht dafür - zum Teil deutlich - länger. Im Urlaub unterwegs ist man aber ohnehin eher lässig im "eco"-Status. Dann dauert alles etwas länger und auch der Mercedes fühlt sich erkennbar im Freizeitmodus. Dafür aber ist er real trotz Größe, Gewicht und nur mittelprächtiger Windschlüpfrigkeit problemlos mit 8,5 Litern Diesel auf 100 Kilometern unterwegs. Es hat schon was beruhigendes, wenn die Tachoanzeige beim Start an der Haustür mehr als 900 Kilometer Reichweite verspricht. Ansonsten: Rollen lassen, bei längeren geraden Strecken Tempomat einschalten, nachts das automatische Fernlicht an - und genießen. Braucht man mal mehr Kraft, etwa beim Überholen: Den Wahlhebel auf "S" wie "Sport" - und flott entspannt vorbei.
Nur etwas trübt das allgemeine Wohlgefühl: Das weitgehende Fehlen von Getränkehaltern. Gerade wenn man mit dem Camper im Urlaub gemütlich lange Strecken abspult, braucht man immer wieder mal den Schluck Kaffee oder Tee aus der Thermotasse. Aber: Dafür ist nirgends Platz. Zwar finden sich in den Seitentüren Aussparungen für Getränkeflaschen bis 1,5 Liter - aber um da ran zu kommen braucht es während des Fahrens regelrecht Verrenkungen und bei Heißgetränken in Alutassen liegt die Verschüttensquote bei über 50%.
Westfalia baut Camper gefühlt seit der westgotischen Völkerwanderung aus. 1950 wurde in den Montagehallen in Rheda-Wiedenbrück der erste VW-Bus eingerichtet. Westfalia sollte es also können. Der Marco Polo zeigt: Ja, sie können es - wenn sie nicht gerade in dem ein oder anderen Detail schlampen. Keine Frage: Die Einbau-Möbel entlang der Fahrerseite machen einen hochwertigen Eindruck. Oberflächen, Scharniere, Rauchglas, Zweiflamm-Gaskocher, Edelstahlspüle, Kühlbox - alles nur vom Feinsten. Die Schubladen ziehen sich die letzten Zentimeter selbst ein, alles ist per Knopfdruck arretierbar. Westfalia eben.
Campingtisch und Stühle nehmen mit ihrer Halterung im Heck des Marco Polo unnütz viel Platz weg
Um so ärgerlicher die Kleinigkeiten, die einem das Gefühl bescheren, dass vieles nicht zu Ende gedacht wurde. Beispiel Gasflasche. Die ist im Boden des Heck-Schranks untergebracht. Wer das Ventil nach der Fahrt aufdrehen will, der muss erst einmal den Schrank ausräumen, ein Bodenbrett herausfummeln, eine Plastikabdeckung aufschrauben, bevor er endlich an das Gasventil kommt. Sicher haben die Westfalia-Ingenieure eine gute Erklärung dafür, warum man nicht wie üblich über eine verschließbare Klappe außen an das Ventil kommt - fummelig ist es trotzdem.
Oder: Wer mit dem Camper unterwegs ist und auch das untere Bett zum Schlafen nutzt, der räumt nicht jeden Morgen komplett auf. Selbst, wenn sich das Bett weitgehend elektrisch wieder zu Sitzen klappen lässt: Liegestatt bleibt Liegestatt und man schiebt allenfalls Decke und Kopfkissen nach hinten. Das aber sorgt für ein paar Probleme im Camper-Alltag. So ragt das Bett ein paar Zentimeter in den Luftraum der vorderen Schublade hinein. Das Resultat: Sie lässt sich bei gemachtem Bett nicht öffnen. Bei der Konstruktion der Möbel die Schublade nur ein paar Zentimeter verrückt - und das Problem gäbe es gar nicht erst. Ähnlich beim Wassertank. Nach vier, fünf Tagen sollte das nicht genutzte Wasser aus dem Frischwassertank abgelassen und durch neues ersetzt werden. Die Prozedur dafür: Elektrosicherung der Wasserpumpe herausziehen, Wasserhahn aufdrehen und hinten im Laderaum einen kleinen Hebel ziehen - Wasser marsch. Das Problem: Die Sicherungen sind nicht an einer zentralen, gut erreichbaren Stelle untergebracht, sondern genau da, wo man bei ausgezogenem Bett nicht dran kommt.
Andere scheinbare Widrigkeiten weisen sich mit etwas Fantasie und Spucke schnell als durchaus nützlich. Campingtisch und Stühle nehmen mit ihrer Halterung im Heck des Marco Polo unnütz viel Platz weg - bis man den Stauraum dort als ideal für Kleinteile wie Schuhbeutel oder Wäschesäcke entdeckt. Oder die Mängel lassen sich schnell und einfach beheben. Die Abdeckung, die aus den harten Polstern der Sitze unten ein weiches Bett zaubern soll, hilft nicht wirklich. Einfach ein Inlett zusätzlich drüber - und gut is'.
Wer oben schläft, der sollte kein Problem mit schaukelnden Bewegungen haben
Ein Fall für sich ist das elektrisch ausklappbare Hochdach (Aufpreis für die Elektrik 1.731 Euro). Per Knopfdruck öffnet es sich bequem bis zu einer Stehhöhe von 2,30 Metern. Schleßen geht genauso einfach. Das Dachbett hat eine Liegefläche von 2,05 mal 1,13 Metern und trägt bis zu 160 Kilogramm Gewicht. Die Matratze sieht zwar dünn aus - ruht aber auf einem punktelastischen Lattenrost und ist fast so bequem wie die im heimischen Bett. Sie hält zudem nach unten bestens warm.
Wer oben schläft, der sollte kein Problem mit schaukelnden Bewegungen haben: Da sich der Marco Polo nicht wie ein Wohnwagen abstützen lässt, spürt man über die Federung der Räder jede Bewegung während des Schlafens. Die Seitenwände sind atmungsaktiv, Feuchtigkeit kondensiert an ihnen und dem Inneren der Dachschale nur in Extremfällen. Zwei "Fenster", die sich per Reißverschluss öffnen lassen, sorgen bei Bedarf für Frischluft von beiden Seiten - ohne, dass es selbst in Regennächten innen nass wird. Leider muss man vor dem Herunterlassen des Dachs das Bettzeug anderswo verstauen - um die Gesamthöhe des Marco Polo unter zwei Meter zu halten, passt allenfalls noch ein T-Shirt zwischen Dach und Liegefläche.
Video: Mercedes-Benz TV
Fazit: Lohnt sich der Marco Polo von Mercedes? Klares Jein. Mit 61.428 Euro Basispreis ist der Edelcamper nicht gerade preiswert. Wer ein wenig in Komfort investiert - etwa in ein elektrisches und nicht nur mechanisches Hubdach -, der hat keine Probleme, den Preis deftig über die 70.000 Euro zu schrauben. Dafür gibt es durchaus auch ein "richtiges" Wohnmobil, etwa von Hymer, mit einem Mercedes-Sprinter als Basisfahrzeug. Allerdings dürfte es ungleich schwerer sein, die 7,5 Meter Länge eines Wohnmobils ähnlich einfach und problemlos durch den Alltag zu chauffieren. Und das sind ein paar Wochen mehr, als gerade mal der Sommerurlaub und ein paar Wochenenden.
"Edel und gediegen, bequem und heimelig - im Marco Polo läßt es sich gut reisen und aushalten. Um so unverständlicher die unnötig ärgerlichen Kleinigkeiten. " Jürgen Wolff