In der Firmenzentrale von Tesla im kalifornischen Palo Alto sieht man der IAA 2017 ganz entspannt entgegen. Der von vielen messianisch gefeierte Hersteller von Elektroautos und sein personifiziertes Aushängeschild Elon Musk kommen ebenso wie knapp ein Dutzend weiterer Autohersteller gar nicht erst nach Frankfurt. Die Messe drückt für viele mehr denn je die "alte" Autowelt aus - und genau dort möchten sich Tesla und Elon Musk nun wirklich nicht sehen. Die Verantwortlichen vieler Autokonzerne sind derweil angespannter denn je - denn der Wechsel vom rund 130 Jahre alten Auto mit Verbrennungsmotor hin zum Elektroauto scheint für viele nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Auch wenn viele Firmen fehlen - gerade die deutschen Hersteller können es sich nicht erlauben, eine so eingeführte Leistungsschau wie die IAA auszulassen. Neben zahlreichen Neuheiten im Bereich Sportwagen, Luxus, Crossover und SUV kann sich kaum jemand erlauben, nicht etwas wirklich Neues aus dem Bereich Elektroantrieb zu präsentieren. Audi etwa zeigt seinen e-tron SUV, Mercedes-Benz die Studie eines kompakten Elektromodells und BMW wohl eine Antwort auf Teslas Model 3. Das Problem: Während vom Model 3 zumindest schon eine Handvoll Modelle zu Testzwecken an eigene Mitarbeiter ausgeliefert worden sind und zum Jahreswechsel die ersten Serienfahrzeuge in Kundenhand folgen sollen, fiedeln die deutschen Hersteller immer noch lautstark auf der elektrischen Zukunftsgeige - die Elektromodelle, die auf der IAA bestaunt werden können, sind in den Monaten nach der Messe noch lange nicht im Handel.
Audi dürfte seinen e-tron Quattro frühestens im Sommer 2018 in den Handel bringen, ebenso, wie Jaguar seinen schicken i-Pace. BMW hat aktuell nur den dünn überarbeiteten i3/i3S, dann in 2020 einen elektrischen X3 und einen möglichen Tesla-Model-3-Fighter. Bei Mercedes und Porsche sieht es mit Elektromodellen kaum anders aus. Mercedes nahm seine elektrische B-Klasse vor kurzem erst vom Markt und bringt seinen Mittelklasse-SUV namens EQ C ebenfalls erst in knapp zwei Jahren zum Kunden. Porsche läuft die Zeit davon, den Mission E als schlagkräftigen Gegner für Teslas Model S noch im Jahre 2019 präsentieren zu können.
Volkswagen hat konkret fünf neue Elektromodelle in Vorbereitung. Erst jüngst gab es in Pebble Beach publikumswirksam grünes Serienlicht für den elektrischen VWBulli. Zudem kommen das Kompaktklassemodell I.D., die Mittelklasselimousine I.D. Aero und zwei elektrische SUV für fünf und sieben Personen mit den Bezeichnungen I.D. Crozz und I.D. Lounge. Alle rollen ebenso wie die Serienversion des Crossovers Škoda Vision E auf der variablen Elektroplattform des VW-Konzerns, die den Namen MIB trägt. Doch vor 2020 geht auch da gar nichts.
Der größte Druck wird auf die Modelle der internationalen Mittelklasse ausgeübt
Auch Mini mit seinem Elektromodell dürfte da keine Ausnahme machen. Auf der IAA geben die deutschen Briten einen Ausblick auf einen elektrischen Mini. Dabei gab es bereits 2009 eine Testflotte, die weltweit in Metropolen unterwegs war. Passiert ist seither nichts. Die Elektroplattformen mussten und müssen aufwendig kreiert werden - erst danach lassen sich Autos entwickeln. Das dauert Jahre - auch daher resultiert die elektrische Verspätung.
Auf verlorenem Posten erscheinen bei allem Elektrowahn die noch recht jungen Plug-In-Hybriden. Wenn Teslas Model 3 bei den Kunden ohne Probleme einschlägt und die mehr als 450.000 Vorbestellungen nachhaltig bestätigt, erscheint die Kombination aus Verbrennungsmotor und Elektromodul dem Tode geweiht. Der Grund liegt in den gefälligen Mittelklasseabmessungen des Model 3, Preisen ab 35.000 Dollar (US-Markt), soliden Fahrleistungen und einer Reichweite, die je nach Konfiguration deutlich über der wichtigen Mindestgrenze von 300 Kilometern liegen sollte. So könnte der elektrische Hoffnungsträger erstmals nennenswerte Elektrovolumina auf den Straßen in den USA und dann nachfolgend in Europa und Asien realisieren. Der größte Druck wird so auf die Modelle der internationalen Mittelklasse ausgeübt. Hybridversionen wie der VW Passat GTE, BMW 3er eDrive und der Mercedes C 350h, ohnehin alles andere als Bestseller, würden beinahe über Nacht ad Absurdum geführt.
Doch Tesla ist nicht der einzige, der den Elektromarkt in Wallung bringt. Volvo, ebenso wie Nissan nicht auf der IAA, verkündete eher publikumswirksam als marktbeeinflussend seinen schrittweisen Ausstieg aus der reinen Verbrennerlandschaft. Ab 2019 soll alles elektrisiert werden, was fahren kann - vieles jedoch erst einmal mit Hybridmodulen. Auch Renault und Nissan erwärmen sich unter Carlos Ghosn seit 2007 schrittweise für die Elektrotechnik.
Doch nach wie vor hängt fast alles an den Akkupreisen. "Derzeit kostet eine Kilowattstunde uns rund 80 Dollar", sagt Renaults Elektroexperte Eric Feunteun, "doch die Preise sinken langsam und das wird uns neue Möglichkeiten geben." Ein Akkupaket für ein Langstreckenfahrzeug kostet so 4.000 bis 10.000 Euro - als reine Herstellungskosten.
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