Mit dem ersten Auto ist es wie mit der ersten Liebe: Man denkt sein ganzes Leben lang gerne daran zurück. Mein erstes Auto war ein VW-Bus. Genauer: ein T2. Für - während der Ferien in einem Schmiede und Presswerk sauer verdiente - 1.600 D-Mark konnte ich ihn mir im Herbst 1976 gerade so leisten. Gebraucht, Baujahr ´68, mindestens zehn Mal lackiert - aber mein.
Seither habe ich als späterer Motorjournalist hunderte Autos gefahren - vom 500er Fiat bis zum Rolls-Royce Silver Seraph oder Aston Martin. An keines davon erinnere ich mich so gern und so detailliert wie an den Bus (ok - und an den Aston).
An meinem VW-Bus habe ich damals gelernt, wie ein Auto funktioniert. Praktisch, nicht theoretisch. Den Zündzeitpunkt von Hand einzustellen, mit Stroboskop und Schraubenzieher. An ihm habe ich meinen ersten platten Reifen gewechselt, zum ersten Mal per Überbrückungskabel eine müde Batterie wiederbelebt, zum ersten Mal Fenster aus- und eingebaut, (ziemlich vergeblich) gespachtelt, geschliffen und noch einmal lackiert. Und - nun kommen wir zum Höhepunkt - bei ihm habe ich zum ersten Mal einen kompletten Motor ausgetauscht. Ich habe dabei geschwitzt, gestöhnt, geflucht - und ihn geliebt deswegen. Einfache Beziehungen sind langweilige Beziehungen. Der Bulli war nie langweilig.
Der VW-Bus war unser Hotel. Ihm verdanken wir unsere erste persönliche Welle der Globalisierung
Das ging schon mit dem Fahren los. Heute würde ich jedes Auto, das auch nur ansatzweise so unterwegs wäre wie der T2, in Grund und Boden schreiben. Parallel zum Tempo stieg der Geräuschpegel des luftgekühlten Heckmotors mit dem der kaum gedämpften Bleche um die Wette. Die Lenkung war in etwa so präzise wie eine Nilpferdkuh beim Spitzentanz und fühlte sich an, als sei sie mit dem Gummi einer Feinripp-Unterhose verbunden. Die Gangwahl mit dem bockigen langen Schaltknüppel erinnerte eher an das Rühren in einem großen Topf Suppe. Und der Seitenhalt der Vordersitze ging gegen Null. Macht nix - schneller als mit Tempo 80 traute man sich eh nicht um die Kurven. Die gewagte Neigung der Karosserie sorgte spätestens dann für gesunde Reflexe.
Daneben gab es immer wieder wunderbar Praktisches zu entdecken. Die runden Lüftungen etwa ließen sich einfach herausziehen - und in die Öffnungen links und rechts im Armaturenbrett passte exakt jeweils eine Cola-Dose - selbst im heißesten Sommer garantierte das halbwegs kühle Getränke. Eine Klimaanlage? An so was hat man nicht einmal gedacht - und war froh, wenn im Winter wenigstens die anfällige Heizung funktionierte.
Der Bulli war schon damals Kult. Er stand für ein Lebensgefühl, für eine ganze Ära. Vor allem aber versprach er Freiheit. Richtige Freiheit. Nicht wie bei unseren Eltern, die über die Alpenpässe im Käfer an den Gardasee knatterten, um da doch nur wieder ins Hotel zu gehen. Der VW-Bus war unser Hotel. Ihm verdanken wir unsere erste persönliche Welle der Globalisierung. Ein paar Schaumstoffmatratzen, ein Wasserkanister, ein Gaskocher und ein paar grob zusammengezimmerte Schränkchen reichten, um ihn zum rollenden Eigenheim zu machen: My Bus is my castle.
Er trug uns in die Schweizer Berge und quer durch Frankreich an die Côte d'Azur. Südspanien stand im Reiseplan, sechs Wochen Griechenland inklusive An- und Abfahrt über den unendlich langen Autoput im ehemaligen Jugoslawien. Hotel? Kein Geld, keine Notwendigkeit. Irgendwo parken, Bett fertigmachen, Vorhänge zu, Schlüssel stecken lassen und Türen sichern - duschen kann man an jedem größeren Bahnhof.
Unterwegs auf Wegen, die man heute nur noch aus der Kriegsberichterstattung im Fernsehen kennt
Die liebevoll bunt und phantasievoll bemalten Bullis mit Blumen, Friedensrune und psychedelischen Mustern wie aus einem Doors-Album waren vor allem in den USA unterwegs in Richtung Westküste. "People in motion" sang Scott McKenzie in "San Francisco" - für die Bewegung dieser Generation sorgte vor allem der VW-Bus. Und so ein bisschen war man in ihm Teil dieses Roadmovies.
Unterwegs traf man immer wieder mal die "richtigen" Aussteiger. Die, die nicht wieder nach acht Wochen "on the road" im Hörsaal sitzen und sich öde Vorlesungen über öffentliches Recht anhören mochten. Die in den 60er und 70ern auf einem der damaligen "Hippie-Trails" unterwegs waren, die für die kleine Freiheit Richtung Ibiza oder Marokko führten und für die große über Istanbul, Teheran, Kabul und Peshawar nach Goa, Kathmandu oder Nepal - im VW-Bus zur Erleuchtung. Das meiste auf Wegen, die man heute nur noch aus der Kriegsberichterstattung im Fernsehen kennt.
Abends saß man mit Leuten in irgendeiner malerischen Bucht am offenen Feuer, die in ihrem Bus bereits drei Kontinente durchquert hatten. Mit glänzenden Augen hörte man ihren Geschichten zu - und fühlte sich als Teil einer weltumspannenden Familie. Vielleicht fuhr man ein paar Tage zusammen die gleiche Strecke weiter. Dann trennten sich die Wege und man sah sie nie im Leben wieder. Oder fünf Jahre später mit dem Dia-Vortrag "Im VW-Bus um die Welt", veranstaltet von der Volkshochschule Horb am Neckar.
Mein Bulli hat die 80er nicht überlebt. Nicht der TÜV hat uns geschieden, sondern ganz profan ein Ampelsünder. Der machte aus dem rollenden Mobilheim im Bruchteil einer Sekunde einen verbeulten Haufen Blech. So endete diese Beziehungen ganz profan kapitalistisch: mit einem wirtschaftlichen Totalschaden.