Aufsteiger aus der Golf-Klasse, Absteiger vom Touareg und Fremdgeher bei Toyota, Hyundai und Co. warten bereits voller Ungeduld. Volkswagen will auf der Frankfurter IAA im Herbst seinen Mittelklasse-SUV mit Namen Tiguan präsentieren. Und es ist wie so oft: Die Niedersachsen kommen spät, dann aber gewaltig. Das zeigten zuletzt Touareg, Touran und Eos. Alle diese Spätstarter kamen praktisch aus dem Nichts auf Platz 1.
Doch beim Tiguan ist das alles etwas anders. Denn ein Mittelklasse-SUV ist für Volkswagen keineswegs neu: Bereits vor mehr als 15 Jahren läuteten die Wolfsburger auf der Basis des Golf II mit dem "Country" ein neues Autozeitalter ein – und kaum einer hat's gemerkt.
Viele Besucher des Genfer Salons wollten im Frühjahr 1989 ihren Augen kaum trauen: Der seit Jahren erfolgreiche Golf II war hier erstmals als Geländewagenstudie zu bestaunen. Aus dem einst geplanten Golf Montana wurde bei der offiziellen IAA-Premiere des Serienfahrzeugs nur ein halbes Jahr später der "Country".
Der hochbeinige Kletter-Golf basierte zwar auf dem viertürigen Golf Syncro, war nach seinem Umbau bei dem Grazer Allrad- und Geländewagenspezialist Steyr-Damler-Puch jedoch kaum noch wieder zu erkennen. Das lag nicht an dem lieblos anmutenden Rammschutzbügel an der Front, den abgedunkelten Rückleuchten und dem fast schon wild ans Heck gepappten Ersatzrad. Vielmehr wurde die gesamte Karosserie durch einen martialisch anmutenden Hilfsrahmen nach oben gesetzt, um dem deutsch-österreichischen Gemeinschaftsprojekt durch 18 Zentimeter Beinfreiheit, Unterfahrschutz und Allradantrieb reale Chancen für einen Offroadeinsatz zu geben.
Der 4,26 Meter lange Country war aus Konzernsicht seinerzeit die Krone der Golf-Kunst. Bei der Motorisierung hatte man zumindest offiziell keine Wahl. Der bekannte und bewährte Vierzylinder mit 1,8 Litern Hubraum, 72 kW/98 PS und manuellem Fünfganggetriebe war alles andere als ein Kraftprotz. Doch der dezente Einspritzer mit geregeltem G-Kat passte zum kantigen 4x4-Charme des Kletter-Golfs.
Träger Geselle
Wie alle Golf-Syncro-Modelle verfügte der Country über einen Allradantrieb mit Viscokupplung, die Kraft bei durchdrehenden Antriebsrädern nach hinten verteilte und ihn im unwegsamen Geläuf handlungsfähig machte. Auf der Straße war der höher gelegte Golf ein recht träger Geselle. Der Vierzylinder läuft leise, sanft und ziemlich durchzugsschwach. Eine Höchstgeschwindigkeit von noch nicht einmal 160 km/h war ebenso wenig beeindruckend wie sein Spurtpotenzial von 0 auf Tempo 100 in 12,3 Sekunden.
Inoffiziell soll es auch einige Country-Modelle mit den 107 PS bzw. den 139 PS starken GTI-Motoren und sogar eine handvoll Dieselversionen gegeben haben. Doch das Problem des 1,3 Tonnen schweren Allradlers waren weniger die Motorleistung oder das gewöhnungsbedürftige Aussehen. Vielmehr war der Einstiegspreis von 34.000 DM (rund 17.500 Euro) damals für viele VW-Kunden Abschreckung genug. Und die SUV-Welle war noch nicht einmal ein sanftes Kräuseln.
So wurden durch den Country kaum Kunden von teureren Fremdmarken in die VW-Autohäuser gespült. Im Sommer 1990 schob Volkswagen eine abgespeckte Basisversion zu Preisen ab rund 31.000 DM nach. Er sollte mit einer dünnen, praxisgerechten Ausstattung insbesondere Jäger und Freizeitsportler locken.
Lifestyle, die Erste
Bereits Anfang der 90er Jahre war der Begriff Lifestyle in aller Munde. So gab es neben dem preiswerten Einstiegsmodell Allround auch einen edlen Ableger. Mit schwarzem oder grünem Metalliclack und heller Lederausstattung, elektrischen Fensterhebern und weiteren Annehmlichkeiten wie Klimaanlage, elektrischen Spiegeln und 205er-Breitreifen lag er über 40.000 DM. Heute ist er eine absolute Rarität.
Am Mißerfolg konnte er jedoch auch nichts mehr ändern: Ende 1991 war es vorbei mit dem ersten Lifestyle-SUV aus dem Hause Volkswagen. Nach nicht einmal 8.000 verkauften Fahrzeugen wurde die Produktion eingestellt und der Crossover verschwand nahezu von der Straße.
Mittlerweile gehören Allradler in jeder Fahrzeugklasse zum Straßenbild. Und so bekommt auch der Golf Country mit dem Tiguan einen legitimen Nachfolger. Der ist alles andere als ein aufgebockter Golf. Doch er darf zu seinem Vorgänger im Wolfsburger VW-Museum sicher Papi sagen. Die Niedersachsen sind da nicht so ...