Die Mille Miglia ist eine Legende. Weltweit haben Kinder, Erwachsene und Senioren irgendwie und irgendwann schon mal von jenem legendären Autorennen in Italien gehört, das keine Grenzen zu haben scheint. Doch der Oldtimerevent hat viel von seinem Charme verloren.
Einst donnerten verwegene Kerle wie Huschke von Hanstein, Stirling Moss oder Rudolf Caracciola in ihren heißen Rennwagen durch den nur sporadisch vorhandenen italienischen Alltagsverkehr, um die Strecke Bresia - Rom und zurück in Rekordzeiten von kaum mehr als zehn Stunden zu bewältigen. Sie riskierten bei Durchschnittstempi von über 150 km/h nicht selten ihr Leben und wurden so zu Rennfahrerlegenden - bis heute.
Heute ist die Mille Miglia längst zu einem Show-, Schein- und Oldtimerspektakel geworden. Wer in der Oldtimerszene etwas sein möchte, der muss nicht nur einmal auf dem Grün des Golfplatzes von Pebble Beach gestanden haben, um die exklusivsten Oldtimer der Welt zu ehren, sondern sollte auch die 1.700 Kilometer durch das einst drei Tage lang verkehrsrechtsfreie Italien erfolgreich absolviert haben.
Doch die Mille Miglia Storica, 1977 neu aufgelegt, hat zu kämpfen. Da sind einige Kommunen, die sich über den Trubel, den die Mille Miglia für wenige Stunden in ihr beschauliches Dorf bringt, alles andere als freuen. Einst undenkbar - heute keine Ausnahme: Durchfahrten werden verweigert und seit zwei Jahren werden eifrig Strafzettel geschrieben. 200, 500 oder bis zu 1.000 Euro sind bei Verkehrsübertretungen keine Seltenheit.
Dass dies mal anders war und die Mille Miglia auch bei der Neuauflage zunächst in einem rechtsfreien Raum ablief, hat sie neben den automobilen Preziosen zur Legende werden lassen. Autohersteller und Sponsoren, die der Mille Miglia seit Jahren finanziell über die Runden helfen, um sich selbst stilecht in Szene zu setzen, sehen sich zunehmend um ein wichtiges internationales Marketinginstrument gebracht.
Offiziell ist die Mille Miglia seit ihrer Neuauflage eine Gleichmäßigkeitsfahrt mit Oldtimern
Wer sich bei der Mille Miglia angesichts überfüllter Innenstädte wie San Marino, kilometerlanger Staus in Rom oder enger Marktplatzüberquerungen wie in Siena an die erlaubten Geschwindigkeitsvorgaben hält, der kann nicht nur seinen kurzen Abstecher in die Espresso-Bar an der Ecke vergessen. Er kann auch die vorgegebenen Durchfahrtszeiten gleich streichen, das einstige Autorennen als geruhsame Touristenfahrt genießen und in der Po-Ebene Blumen zu pflücken.
Doch dazu sind die Teilnehmer oft nicht bereit - und die Fahrzeuge im Feld nicht gebaut. Denn bei der Mille Miglia dürfen nur Modelle starten, die aufgrund von Baujahr und Eignung auch beim einstigen originalen Autorennen in den Jahren 1927 bis 1957 startberechtigt gewesen wären - von Ausnahmen mal abgesehen. Rennwagen eben, die die Geschwindigkeit lieben und brauchen.
Jedes Jahr gibt es ein Hauen und Stechen um die begehrten 450 Startplätze. Schließlich will der Veranstalter nicht immer die gleichen Teilnehmer sehen. Legendäre Rennfahrzeuge wie der Mercedes 300 SL Flügeltürer, ein Porsche 356 B oder eine Lancia Aurelia sind dabei im millionenschweren Teilnehmerfeld ebenso gesetzt wie die spektakulären Vorkriegsmodelle vom Typ Bentley Blower 4,5 Litre, BMW 328 oder Alfa Romeo 6C.
Offiziell ist die Mille Miglia seit ihrer Neuauflage eine Gleichmäßigkeitsfahrt mit Oldtimern wie die Ennstal Classic oder die Silvretta Klassik. Die meisten Teilnehmer sehen das durchaus anders und verwandeln die mittlerweile auf vier Tage ausgeweitete Italienrundfahrt zu einem inoffiziellen Oldtimerrennen mit Freunden, Konkurrenten und der elitären Historienszene.
Trotz aller Verränderungen hat die Mille Miglia Storica in den meisten italienischen Ortschaften und Städten, die sie durchquert, seit den 90er Jahren den Rang eines Nationalfeiertags mit Volksfestcharakter. Geschäfte haben Sonderöffnungszeiten, Schüler haben Schulfrei und am Straßenrand stehen vom Kleinkind bis zum betagten Senior alle, die laufen können und winken mit Fahnen und Händen den Teilnehmern zu, von denen sich einige wie Eroberer eines neuen Kontinents fühlen.
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