Es gibt Autos, die kennt fast niemand. Als Emily Einert ihren minzgrünen Flitzer einmal in die Werkstatt brachte, um die Batterie auszutauschen, gab es ratlose Gesichter: Nissan Figaro - was um alles in der Welt ist das? Das Auto der jungen Münchnerin gab den Mechanikern ein echtes Rätsel auf. Auch die rein japanische Beschriftung auf der Batterie half nicht weiter. Schließlich baute man eine Batterie vom Nissan Micra ein.
Der Micra war es auch, auf dessen Basis vor 20 Jahren das höchst ungewöhnliche Auto präsentiert wurde. Auf der Tokio Motor Show 1989 zog der Nissan Figaro die Blicke auf sich. Abgesehen vom technischen Grundgerüst hatte der Winzling aber nichts mit einem gewöhnlichen Kleinwagen gemein. Luxuriöse Ausstattung, verspieltes Design in praktisch jedem Detail und dazu noch ein Sonnendach machten den Figaro zu etwas ganz Besonderem.
"Das Auto ist der totale Hingucker - ich wollte einen Wagen, den sonst keiner hat", sagt Emily Einert. Die Kosmetikerin besitzt einen der ganz wenigen Figaros in Deutschland. Wenn das stylische Wägelchen durch München rollt, verdreht es die Köpfe: "Ich werde täglich auf das Auto angesprochen. Viele halten es für einen italienischen Kleinwagen", erzählt Einert.
Ende der 80er Jahre schuf Nissan mit dem Be-1, dem Pao und dem Figaro ein Trio faszinierender Retro-Autos. Der Zwergen-Kombi Pao kokettierte geschickt mit Designelementen aus den 50er Jahren und wirkte wie eine Neuauflage der Ente im Manga-Stil.
Limitierte Auflage
Das schönste Modell war aber der Figaro. Die Reaktionen auf das Auto waren gigantisch: 300.000 Kaufinteressenten soll es gegeben haben. Da Nissan die Produktion des Wagens auf 20.000 Stück limitierte, wurden die Figaros in einem Lotterieverfahren vergeben. In Europa musste man für den Wagen ungefähr 10.000 Britische Pfund auf den Tisch legen, doch nur wenige Autos schafften es bis in unsere Gestade. In Japan lag der Preis pro Stück bei 1,8 Millionen Yen.
Der Run auf die Retro-Mobile war eigentlich überraschend, denn bis heute gibt es in Japan keine nennenswerte Klassiker-Szene. Viele der drolligen und kultigen Nippon-Autos aus den 50er und 60er Jahren existieren – wenn überhaupt – nur noch in Museen. Alte Autos haben in Japan keinen Stellenwert, selbst Gebrauchtwagen verschwinden meist nach Russland oder Südostasien.
Der Figaro aber war heiß begehrt, vielleicht weil bei ihm nur die Optik alt war: Innen fühlte man sich wie in einem Luxusauto. Ledersitze, Klimaanlage, Automatikgetriebe, elektrische Fensterheber und sogar ein CD-Radio: Anfang der 90er Jahre konnten Kleinwagenbesitzer von einer solchen Ausstattung nur träumen, doch der Figaro hatte all das an Bord.
Turbo an Bord
1991 wurden die Autos schließlich ausgeliefert und es gab sie nur als Rechtslenker. Die Karosserie des 3,7 Meter langen Wagens besteht aus Kunststoff-Paneelen, die einen leichten Aufprall ohne Schaden überstehen. Unter der Haube werkelt ein Vierzylindermotörchen mit 987 Kubikzentimetern Hubraum, das dank Turboaufladung 76 PS entwickelt und dem rund 860 Kilogramm leichten Figaro zu ordentlichen Fahrleistungen verhilft. Eine Dreigang-Automatik übernimmt die Kraftübertragung.
Vier Farben standen für den Figaro zur Auswahl, und alle spielten auf die vier Jahreszeiten an: Ein Minzgrün namens "Emerald Green" stand für den Frühling, das pastellblaue "Pale Aqua" für den Sommer, "Topaz Mist" für den Herbst und "Lapis Grey" für den Winter. Die "Vier Jahreszeiten"-Idee lässt sich auch mit den gleichnamigen Konzerten von Antonio Vivaldi in Verbindung bringen.
Das Nissan-Logo auf der Haube wird von einer Blütenknospe umrahmt – wahrscheinlich eine Anspielung auf die "Kameliendame" – und selbst die Schalter für die Fensterheber sehen wie kleine Blüten aus. Die verchromten Regler der Lüftung könnten auch aus einem alten Borgward stammen und selbst das (1991 hochmoderne) CD-Radio ist im elfenbeinfarbenen Retro-Look gehalten.
Der Figaro sollte laut der damaligen Pressemitteilung "stylische Eleganz ins Alltagsleben" bringen und ein "unverwechselbares, personalisiertes Coupé" sein. In der Tat war Nissan mit dem Figaro dem Retro-Trend in der europäischen Autoindustrie um Jahre voraus: Ähnliche Sätze könnte man heute auch in einer Broschüre für den New Mini oder den Fiat 500 lesen.
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