Die E-Klasse ist seit je her das Kernmodell und neben der S-Klasse das Aushängeschild der Marke Mercedes-Benz. Bei der Vorstellung der nun auslaufenden E-Klasse versprachen die MB-Verantwortlichen vollmundig "die neue Mercedes E-Klasse kann alles, was wir auch können."
Unwahrscheinlich, dass die Strategen bei der Vorstellung der ersten Mercedes-Mittelklasse im Jahre 1954 ähnliche Werbesprüche von sich gegeben haben. Doch das, was die E-Klasse über Jahrzehnte auszeichnete, hat seinen Ursprung im Ponton-Mercedes.
Als die Deutschen langsam wieder auf die Beine kamen und sich über das Wirtschaftswunder wunderten, kam das Verlangen nach einer großzügigen Mittelklasselimousine. Man war schließlich wieder wer. Und gerade die finanziell besser Gestellten suchten einen geeigneten fahrbaren Untersatz ohne den angestaubten Arbeitercharme, den Marken wie Opel, Ford oder NSU durchweg verströmten.
Wer etwas war, der fuhr in der Nachkriegszeit einen Mercedes – und ab 1954 gerne den 220er. Die viertürige Limousine der Baureihe W 180 war nach heutigen Maßstäben alles andere als luxuriös, aber für die meisten im Wirtschaftswunderland schlicht unerreichbar. Die damals hausbackene Werbung zeigte auf großen Plakaten einen elegant gekleideten Vater mit chicem Hut am Ponton-Lenkrad. Rechts neben ihm die nicht minder elegante Ehefrau und im Fond der strahlende Nachwuchs.
85 PS - Sportlichkeit pur
Der 2,2 Liter große Sechszylinder des Topmodells leistete seinerzeit mehr als beachtliche 63 kW/85 PS und ein maximales Drehmoment von 160 Nm. Nach heutigen Maßstäben für eine Limousine der oberen Mittelklasse mit einer Länge von 4,71 Metern kaum ausreichend - damals aber sponn der Verkaufsprospekt von der Wendigkeit eines Sportwagens.
Erstmals in der deutschen Automobilgeschichte war ein Volumenmodell derart aufwendig entwickelt worden. Die bis dato mit Mercedes untrennbar verbundene Eleganz war dagegen nicht die Sache des ersten E-Klasse-Vorläufers. Die bogenförmige Dachkonstruktion wirkte wenig filigran. Und auch die in die Karosserie eingelassenen Kotflügel nahmen dem Mittelklassemodell jene unvergleichliche Linienführung, mit der Mercedes bis dato auf Kundenfang gegangen war.
Das voluminöse Dach, das dem 220er die Bezeichnung "Ponton" (Schwimmkörper) einbrachte, sorgte zusammen mit dem 2,82 Meter langen Radstand im Innenraum für üppige Platzverhältnisse.
Der 220 war der erste Benz mit selbsttragender Karosserie. Im Vergleich zu vielen anderen Fahrzeugen aus dieser Zeit gab es jedoch nicht nur viel Platz für fünf oder sechs Personen inklusiv Gepäck, eine ordentliche Belüftung/Heizung, sowie ein aufgeräumtes Holz-Armaturenbrett mit Bedienelementen für Scheibenwischer, Heizung, Licht, Starter und Uhr. Die heute üblichen Lenkstockhebel für Scheibenwischer oder Blinker sucht man zunächst vergebens. Der Scheibenwischer wird über einen Zugschalter vor der Windschutzscheibe bedient. Der Blinker befindet sich wie bei vielen Autos damals im Lenkradkranz.
220er - der große Ponton-Benz
Nicht nur Taxifahrer freuten sich über die üppigen Platzverhältnisse, die große Kopffreiheit und den großzügigen Kofferraum. Der Innenraum des Ponton setzte in seiner Zeit Maßstäbe. Armlehnen, Kartentaschen, Innenleuchten, Sonnenblenden, Haltestangen und Kleiderhaken – so etwas gab es sonst nur in amerikanischen Luxuslimousinen. Luxus in der Mittelklasse – damit klopfte die erste E-Klasse seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts an die Tür zur Luxusliga und der S-Klasse.
Nachdem zunächst der 180er vorgestellt worden war, folgte im Jahre 1956 der 190er, der trotz nur geringfügiger Modifikationen leicht oberhalb vom W 180 abgesiedelt worden war. Wichtiger waren die Unterschiede hinter dem opulenten Kühlergrill. Musste sich der 180er bis 1957 mit dem recht schmächtigen 52-PS-Triebwerk aus dem Vorkriegsmotor des 170ers begnügen, so wurde der 190er von einem 55 kW/75 PS starken Sechszylinder angetrieben, der Geschwindigkeiten bis 140 km/h ermöglichte.
Der 220er legte als Topversion nochmals zehn PS drauf und schaffte rund 150 km/h Spitze. In den 50er und 60er Jahren galt der Ponton als Maßstab in Sachen Fahrverhalten, Technik und Qualität. Gerade deshalb erfreute sich der bauchige Benz bei Taxlern zwischen Berlin und Stuttgart über Jahrzehnte einer großen Beliebtheit.
Alltagstauglich
Schließlich gab es ihn auch mit einem nahezu unverwüstlichen Dieselmotor. Ein Automatikgetriebe hielt jedoch erst Einzug bei dem größeren Bruder der Baureihe W 186/W 189, besser bekannt aus Adenauer-Benz. Dass ein 180er es trotz seiner Nehmerqualitäten auch durchaus sportlich konnte, zeigte seine Plattform auf der unter anderem auch der Sportroadster 190 SL aufbaute.
Wer heute am Lekrad eines Mercedes 220a aus den späten 50er Jahren sitzt, wird den technischen Fortschritt deutlich spüren. Das Fahrverhalten ist dennoch souverän und die Langstreckenqualitäten durch den erstmals eingeführten Fahrschemel, in dem Motor, Getriebe, Lenkung und Vorderachse untergebracht sind, nach damaligen Maßstäben unübertroffen. Wer die schwergängige und nicht servounterstützte Lenkung voll einschlägt, dreht den 220 auf elf Metern.
Im heutigen Straßenverkehr sieht man den Ponton nur noch sehr selten. Der Zahn der Zeit hat an den meisten Modellen heftig genagt. Auf dem Gebrauchtwagenmarkt gibt es es jedoch nach wie vor noch ein durchaus nennenswertes Angebot. Fahrzeuge im Originalzustand sind allerdings Mangelware. Doch wer sich mit einem ordentlich restaurierten Modell im Zustand zwei bis drei arrangieren kann, der findet zwischen 9.000 und 18.000 Euro seinen durchweg alltagstauglichen Traumwagen, den "großen Ponton-Mercedes" – vielleicht sogar mit Ledersitzen und großem Rolldach.
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