Der Audi A8 quattro hat Mitte der 90er Jahren das neue Segment eröffnet: Luxusklasse und 4x4-Antrieb – das macht schon wegen üppiger PS-Leistung und Gewichtsdimensionen von über zwei Tonnen Sinn. Dem Ingolädter Erstling folgten unter anderem Marken wie VW, Bentley, Chrysler und Mercedes.
Auch wenn es angesichts der breiten Straßen und geringen Geschwindigkeiten kaum einleuchten mag: Gerade in den USA erfreut sich die allradgetriebene S-Klasse großer Beliebtheit. Der Grund sind weder in der Fahrdynamik noch in der Wintertauglichkeit zu suchen. Vielmehr geht es gerade in dieser Klasse um das Image. In Europa ist man da praktischer veranlagt. Für das Skiwochenende in St. Moritz will man nicht immer den trägen Range Rover aus der Garage holen müssen, sondern auch mit der neuen S-Klasse glänzen.
Musste der zusätzliche Frontantrieb beim 1998 erstmals vorgestellten Vorgänger W 220 ab 2002 noch im laufenden Produktionsprozess mühsam an den Antriebsstrang gebastelt werden, so wurde die neue S-Klasse (W 221) von den ersten Technikzeichnungen an als Heck- und Allradversion entworfen. Die Entwicklungszeit war mit fünf Jahren ungewöhnlich lang für ein Antriebskonzept.
Das Ergebnis aber kann sich sehen - und fahren - lassen. Selbst auf eisglatten und verschneiten Fahrbahnen in den Schweizer Alpen schlägt sich die zwei Tonnen schwere S-Klasse beachtlich. Unbeirrt geht es die kurvenreichen Straßen und Wege hinauf und hinab. Neben dem Vortrieb in allen Lagen wurde ein weiteres Entwicklungsziel erreicht: Der permanente Allradantrieb mit seinem offenen Zentraldifferential belastet die Luxuskarosse nur mit einem Zusatzgewicht von gerade mal 70 Kilogramm.
Festes Verhältnis
Für eine Überraschung sorgt das Konzept bei genauerem Hinsehen: Während die Konkurrenz von Audi, BMW oder VW immer mehr in Richtung einer variablen Kraftverteilung unterwegs ist, setzen die Stuttgarter auf ein festes Kräfteverhältnis. 45 Prozent der Leistung gehen an die Vorderachse, die restlichen 55 Prozent arbeiten am Heck. "Damit es bei rutschigem Untergrund vom Start weg zum gewünschten Vortrieb kommt, haben beide Achsen bis zu einem Drehmoment von 50 Nm einen starren Durchsatz", sagt Andreas Faulhaber, zuständig für die Regelsysteme der S-Klasse. Das hilft besonders beim Anfahren am Berg.
Der Allradantrieb 4matic wurde an das um 20 Zentimeter verlängerte Gehäuse der Siebengang-Automatik gekoppelt. Der Getriebesatz selbst musste dabei nicht verändert werden. Vom Ende des Getriebegehäuses geht die Kardanwelle in einem Sieben-Grad-Winkel an die rechte Seite der Vorderachse. Die Schmierung der Ritzel geschieht nicht wie beim Vorgänger über ein eigenes System, sondern über den geschlossenen Hochdruckkreislauf der Automatik.
Die Feder-Dämpfer-Abstimmung des S 500 4matic scheint eine Spur straffer als beim Hecktriebler. Und gerade im Grenzbereich wünscht man sich eine Lenkung mit einer etwas besseren Rückmeldung. Die Unterschiede beim Vortrieb spüren Fahrer und Passagiere erst, wenn es durch Eis, Wasser, Schnee oder unbefestigten Grund glatt wird. Verliert ein Antriebsrad an Bodenhaftung, wird die Kraft nicht zu einem anderen Rad transportiert, sondern allein von der Motorelektronik in Sekundenbruchteilen entsprechend abgebremst.
Nur wenig durstiger
Die Fahrwerksentwickler sind ihrer Linie treu geblieben und haben auch die Allradversion des Aushängeschilds betont untersteuernd ausgelegt. Man muss schon Kraftakte vollführen, um das Heck zum leichten Ausbrechen zu bringen. Im Schnee kann hier schon einmal ein Ausschalten des elektronischen Stabilitätsprogramms den gewünschten Erfolg bringen. Wird der Schnee etwas höher, kann der S 500 im Übrigen mit der serienmäßigen Luftfederung entsprechend angehoben werden.
Die Ingenieure hatten in den fünf Jahren Entwicklungsziel ein volles Lastenheft zu abzuarbeiten. Neben geringem Gewicht und dem gewünschten Vortrieb stand insbesondere auch ein allenfalls geringer Mehrverbrauch auf der Liste. "Auch das hat geklappt", sagt Entwicklungsleiter Gunter Fischer: "Der W 221 4matic verbraucht pro 100 Kilometer gerade mal einen halben Liter Kraftstoff mehr als die heckgetriebene Version."
Die 4matic-Versionen der Mercedes S-Klasse kommen im Herbst auf den deutschen Markt. Zunächst als S 450 und S 500 mit Leistungen von 340 und 388 PS. Die neuen 4matic-Modelle sollen rund 3.000 Euro mehr kosten als die vergleichbaren Standardversionen. Mittelfristig sollen auch die Dieselversionen S 320 CDI und S 420 CDI mit 4matic folgen. Insgesamt rechnet man in der S-Klasse mit einem Allradanteil zwischen 10 und 15 Prozent. In Nordamerika plant man ein Drittel 4matic-Versionen.
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