Bevor es nach China ging, warteten aber noch die endlosen Weiten Kasachstans auf die 36 Teams und den Begleit-Tross. In der Doku-Komödie "Borat" wird die Republik wenig schmeichelhaft als ein Land voller Hinterwäldler dargestellt – ein echtes PR-Desaster für das aufstrebende Land. Während die kasachische Regierung in Imagekampagnen dagegen ankämpft, konnten die Teilnehmer der E-Class-Experience sich aus erster Hand ein Bild machen.
"Willkommen auf kasachischer Erde", hieß es an der Grenze zu dem Riesenreich. Die Kontrollen dauerten nicht mal eine Stunde, die Nachzügler wurden von der Polizei mit Blaulicht zum Zwischenziel Kostanaj eskortiert. Auch sonst zeigten sich viele Kasachen freundlicher als so mancher muffeliger Russe zuvor. Die Strecke durch Kasachstan – fünfmal so groß wie Frankreich und geprägt von Stein-, Salz- und Sandwüsten - war für die Fahrer eine echte Herausforderung: "Hier sieht man ja Ostern schon, wer Weihnachten zu Besuch kommt", beschrieb Tour-Teilnehmer Joe Fellner seine Eindrücke.
Manchmal ging es 160 Kilometer stur geradeaus, rechts und links kein Baum, kein Strauch, nur die endlose Weite und hin und wieder ein Autowrack. Wer nicht schnell genug einen Abschleppdienst organisiert, hat in Kasachstan wenig Chancen – das Ausschlachten liegen gebliebener Autos ist ein beliebter Sport. Immerhin ist der Sprit billig - Kasachstan ist ein Erdölförderland. Der Liter Benzin kostet nur 70 Euro-Cent, der Liter Diesel 55 Cent.
Zu Gast beim KGB
In Balchasch wurden die Paris-Pekinger wie Filmstars empfangen. Kinder und Jugendliche wollten Autogramme aller Fahrer haben. Weil Hotels in der Stadt mit 74.000 Einwohnern dünn gesät sind, schlüpften alle Fahrer bei kasachischen Familien unter – bei Ärzten, Rechtsanwälte, Ladenbesitzern, dem Leiter des örtlichen KGB oder dem Inhaber eines Internet-Cafés.
Auf der 17. Tagesetappe wartete schon der letzte Grenzübertritt - aber erst der Beginn des größten Abenteuers: Chinas wilder Westen. Von den frostigen Temperaturen in Russland keine Spur mehr - das Thermometer kletterte auf über 20 Grad. Und endlich tauchten wieder saftige Wiesen am Straßenrand auf. Auf der Strecke nach Korgas gab es den dritten Blechschaden der Tour. Ein kasachischer Lada fuhr auf einen G-Klasse Geländewagen der Foto-Teams auf. Das wenig überraschede Ergebnis: G-Klasse Eins, Lada Null – wenigstens wurde niemand verletzt.
Der Grenzübertritt nach China war wie schon der nach Russland: Ein gewaltiger bürokratischer Akt. Nur in festgelegter Reihenfolge und nach wahren Stempel-Orgien durften die Fahrer passieren. In China verstehen die Offiziellen keinen Spaß. Die Benz-Karawane darf sich nur auf festgelegten Straßen bewegen. Ohne die extra ausgestellten chinesischen Kennzeichen und Führerscheine geht gar nichts. Die Formalitäten sorgten für die bislang längste Tagesetappe der Tour – erst nach 16 Stunden erreichten die letzten Autos um Mitternacht das Hotel in Yining.
Vom Volk, das nie schläft
Gut, dass die Fahrer sich in den Großstädten der vergangenen Etappen schon an Anarchie auf der Straße einstellen konnten: Mit unbeleuchteten Autos und Eselskarren, voll beladenen Mopeds und im Zick-Zack umherhuschenden Fußgängern verlangt der Verkehr in China viel Glück und Nerven aus Stahl. Und Chinesen scheinen nie zu schlafen - selbst kurz vor Mitternacht bevölkerten noch Kleinkinder die Bürgersteige, Läden waren geöffnet und Bauarbeiten im vollen Gange.
China ist ein Land der Gegensätze. Direkt neben den weitläufigen Äckern brennen Arbeiter mit örtlich geförderter Braunkohle unter freiem Himmel Lehmziegel. Gleichzeitig ist die Region voller Solaranlagen und Windkrafträder. Bis 2050 soll der Stromverbrauch des riesigen Landes um das Sechsfache steigen – da sind ein paar Solarzellen natürlich nur Randnotizen in der Energiebilanz. Nicht selten drücken Fahrer auch die Umluft-Taste der Klimaanlage, wenn Schornsteine und Kühltürme in Sichtweite kommen. In Sachen Umweltschutz muss China noch viel lernen. Dafür gibt es oft selbst im hintersten Winkel guten Handy-Empfang.
Von den Chinesen werden die E-Class Experience-Fahrer meistens wie Wesen von einem anderen Stern bestaunt. "Langnasen" sind hier absolut selten anzutreffen. "Ihr seid schöne Männer", schmeichelte eine Marktfrau. Übrigens sind auch kitschige Souvenirshops bis in die hintersten Winkel Chinas vorgedrungen: Die "küssenden Schweinchen", ein handgefertigtes Holzspielzeug für Kinder, fanden für einen Euro pro Stück reißenden Absatz.
Langsam aber sicher nähern sich die Paris-Pekinger dem Endspurt. Vorbei an den Ruinen der großen Mauer geht der Weg Richtung Peking. Einen kleinen Vorgeschmack auf Chinas Mega-City lieferte schon die Millionenmetropole Lanzhou: Neue Hochhäuser, wimmelnder Autoverkehr und Baukräne bis zum Horizont sind auch hier Zeichen des rasanten Wachstums.