Benoit Tréluyer steuerte seinen Audi R18 e-tron quattro mit Tränen in den Augen letztmals über die 13,6 Kilometer lange Piste von Le Mans. Im Tiefflug dahinter der zweite Audi mit der Startnummer 1, der nach einem schweren Trainingsunfall am Donnerstag komplett neu aufgebaut worden war. Das Zielfoto täuscht, denn nur ein paar Meter zurück rollt der Porsche 919 Hybrid mit der Nummer 20 über die Ziellinie.
Doch die Zuffenhausener konnten bei ihrer Rückkehr nach Le Mans die hohen Erwartungen auch nach exzellenten Zwischenständen nicht erfüllen. Beide 919er Porsche fielen in den letzten beiden Stunden vor dem Ziel mit einem Motorschaden und Problemen am Antriebsstrang aus - nachdem man zwischenzeitlich sogar geführt hatte. Noch härter traf es das Team von Toyota, deren 1.000 PS starker Achtzylinder des TS 040 mit Startnummer sieben das schnellste Auto im Feld war. Er fiel in Führung liegend in den frühen Morgenstunden mit einem Kabelbruch aus.
"Es war ein Rennen, wie man es nur in Le Mans erleben kann", sagte Audi- Motorsportchef Wolfgang Ullrichs: "Es gab viele Zwischenfälle und keines der Topautos ist ohne Probleme über die Distanz gekommen. Entscheidend war, dass unsere Audi R18 e-tron quattro 24 Stunden lang konstant schnell fahren konnten, unsere Fahrer keine Fehler gemacht haben und unsere Mannschaft auf die Probleme, die es gab, schnell und richtig reagiert hat."
52 Starter, 24 Stunden und über 250.000 Zuschauer - das 24 Stunden Rennen von Le Mans ist das Muss eines jeden Motorsportfans. Röhrende Motoren, Geschwindigkeiten bis zu 340 km/h und glühende Bremsscheiben entlohnen die Besucher für die anstrengende Anreise ins französische Niemandsland. Denn das kleine Städtchen Le Mans und seine noch kleineren Nachbarörtchen südwestlich von Paris sind vieles - nur nicht für einen solch großen Besucheransturm gewappnet. Doch so sehr sich auch gewisse Dinge jedes Jahr wiederholen - die betrunkenen und von der Sonne verbrannten Briten oder die sich selbst mit Oranjeperrücken karikierenden Holländer -, eines war in diesem Jahr anders: Porsche kehrte nach 16 Jahren Le-Mans-Enthaltsamkeit zurück.
Von einem waschechten Le Mans-Start hat man sich schon vor vielen Jahren verabschiedet
Ausgerechnet bei ihrem ersten Le-Mans-Rennen hatten sie dem Konzernbruder Audi die Plätze in den vorderen Startreihen vor der Nase weggeschnappt. Während die Ingolstädter, die aus den vergangenen 15 Starts zwölf Siege verbuchen konnten, von den Startplätzen fünf, sechs und sieben ins Rennen gehen mussten, belegten die weißen Porsche 919 Hybrid die Plätze zwei und vier. Audi-Chef Rupert Stadler: "Wir sind in dieses Rennen nicht als Favoriten gegangen und hatten mit Porsche und Toyota zwei sehr starke Gegner. Es ist eine tolle Leistung der gesamten Audi-Mannschaft, dass wir es trotzdem auch dieses Mal geschafft haben, Le Mans zu gewinnen."
Der Start des Rennens beginnt traditionsgemäß immer am Samstag um 15 Uhr. Die Stunden bis dahin sind von Rahmenprogrammen wie dem Porsche Super-Cup oder einem Rennen mit alten Le Mans-Siegerfahrzeugen gespickt. Rund drei Stunden vor dem eigentlichen Rennen ist die Boxengasse geöffnet und zum Bersten mit Schaulustigen gefüllt. Auch für die zahlreichen Prominenten ist die Zeit des Abschiednehmens gekommen, wenn die beige gekleideten und mit einem Seil verbundenen Ordner aufräumen.
Von einem waschechten Le Mans-Start, bei dem die Fahrer zu ihren Fahrzeugen rennen, einsteigen und dann erst losfahren, hat man sich schon vor vielen Jahren verabschiedet. So findet heutzutage der Start auf die Sekunde genau nach einer vom Safetycar geführten Runde fliegend statt. Und wie schon in den vergangenen Jahren kristallisieren sich nicht die schnellsten Boliden als Publikumslieblinge heraus, sondern die Lautesten. Würde es nach Dezibel gehen, hätten die Hybriden aus dem Hause Toyota, Audi und Porsche keine Chance gegen die gelben Corvettes und babyblauen Aston Martins. Und auch die mehrfarbigen Ferrari vom Typ 458 Racing sind schon aus mehreren hundert Metern Entfernung zu identifizieren.
In diesem Jahr dauerte es ganze 24 Minuten, bis der erste Teilnehmer seine Box schließen musste. Ausgerechnet der Sonderling des 24 Stundenrennens, der einem dreirädrigen Pfeil gleiche Nissan ZEOD RC, stellt nach fünf gefahrenen Runden den Dienst ein - ohne Fremdeinwirkung.
Die Stunden zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang sind für die Piloten besonders hart
Und das ist bei einem Rennen, bei dem schon nach zehn Minuten die ersten Überrundungen stattfinden, nicht immer so glimpflich. Denn als nach knapp 90 Minuten ein heftiger Platzregen auf die Strecke niederprasselte, kam es ausgehend von einem Ferrari 458 der GT-Klasse zu einer folgenschweren Karambolage. Der Audi R18 e-tron mit der Startnummer drei wurde dabei komplett zerstört und der Toyota TS 040 mit der Startnummer acht konnte erst nach umfangreichen Reparaturarbeiten mit deutlichem Rückstand wieder ins Rennen zurück. Am Ende reichte es jedoch noch für Platz drei im Gesamtklassement.
Ist eine Rennrunde bei strahlendem Sonnenschein und unregelmäßig einsetzenden Schauern mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von 240 km/h schon schwierig genug, so sind die Stunden zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang für die Piloten besonders hart. Gleißend helle LED- und Laserlichtkegel zerschneiden die Dunkelheit über dem Sarthe-Kurs.
Aber es gibt auch andere Momente. Le Mans-Legende Allen McNish: "Das Schönste für einen Rennfahrer ist, wenn du am Sonntag um 15 Uhr die Zielflagge siehst. Und erst recht, wenn du kurz darauf mit Champagner rumspritzt."
Das konnte nach spektakulären 24 Stunden einmal mehr das Audi-Team, das in der Besetzung Marcel Fässler, André Lotterer und Benoit Trélyer mit der Startnummer zwei siegte. Auf Platz zwei: der zwei Audi R18 mit Lucas di Grassi, Marc Gené und Tom Kristensen. Doch Toyota und Porsche werden 2015 zurückkommen und Audi endlich vom Dauer-Thron stoßen wollen - wieder einmal.
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