Fernsehserien und Kinofilme machen es möglich: New York, Chicago, Miami oder Los Angeles kennt bei uns jeder. Doch der Großraum Indianapolis führt trotz seiner über zwei Millionen Einwohner ein Dasein abseits großer Nachrichten. Doch ein Wochenende im Jahr schaut nicht nur die Automobilwelt in die Hauptstadt des Bundesstaates Indiana. Die 500 Meilen von Indianapolis sind der größte Eintages-Sportevent der Welt.
Wieder kamen mehr als 400.000 Zuschauer aus den ganzen USA, aus Europa und Asien nach Indianapolis. Als Sieger Dario Franchitti um kurz vor halb vier nachmittags die obligatorische Milchflasche nach oben reckte und sich der Inhalt erst in den Siegermund und dann über seine Baseballkappe ergoss, bebte die 1909 eröffnete Rennstrecke in ihren Grundfesten.
Größer könnten die Unterschiede kaum sein. Während beim Formel-1-Grand-Prix von Monaco Mark Webber seinen Sieg mit der obligatorischen Champagnerdusche krönte, feiert man in Indianapolis ausgelassen und bodenständig. Im Jahre 1936 verlangte Sieger Louis Meyer nach seinem Indy-Sieg nach einem Glas Buttermilch von seiner Mutter. Seit 1956 greifen alle Sieger nach dem Triumpf auch offiziell zur Milchflasche.
Was für ein Rennen für Indycar-Champion Dario Franchitti, der bereits zum dritten Mal die 500 Meilen von Indianapolis gewinnen konnte und dem Team von Chip Ganassi einen Doppelsieg bescherte. Denn Teamkollege Scott Dixon aus Neuseeland belegte mit knappem Rückstand Platz zwei vor dem Brasilianer Tony Kanaan, der bis zu einer Pacecar-Phase kurz vor dem Rennende noch geführt hatte.
Der japanische Ex-Formel-1-Pilot Tacuma Sato hatte eingangs der letzten Runde alles riskiert, als er in Kurve eins den führenden Dario Franchitti fast schon innen überholt hatte, dann aber die Kontrolle über seinen Renner verlor und in die Mauer krachte. Er blieb dabei unverletzt. 35 Führungswechsel hatte es während des aufregenden Rennens gegeben - Rekord in der 101jährigen Geschichte der 500 Meilen von Indianapolis.
Paukenschlag
"The greatest spectacle in racing" dröhnte es immer wieder über den Indykurs, wenn der lokale Radiosender Hank FM gerade die Musik von Garth Brooks oder Shakin Stevens unterbrach und ein Chevrolet Silverado Pick-Up mit der größten Pauke der Welt auf der Ladefläche das Publikum noch weiter anzuheizen versuchte.
Die Indy 500 hatten diesmal nur zwei Themen. Den Tod von Vorjahressieger Dan Wheldon im Oktober letzten Jahres beim Rennen in Las Vegas und die brütend heißen Temperaturen im mittleren Westen der USA. Heißer ist es auf der ältesten Rennstrecke der Welt, die hier alle nur Nudeltopf nennen, selten gewesen. Auf den Zuschauerplätzen im größten Autostadion der Welt wurden mehr als 125 Grad Fahrenheit gemessen - über 52 Grad Celsius. In Schatten reichte es immer noch für 33 Grad.
"Wir wissen, dass es unglaublich heiß wird", sagte Al Meyer, der Reifenkoordinator von Einheitshersteller Firestone, schon vorab, "jedes Team hat 33 Reifensätze. Wir bringen für das Rennen insgesamt 5000 Reifen mit. Viel Arbeit für meine Jungs."
Die Indy-Car-Renner wurden vor der Saison 2012 komplett neu entwickelt. Die aerodynamisch aufwendigen Einheitschassis mit der Bezeichnung DW12 stammen von Dallara. Die aufgeladenen Triebwerke mit 650 PS Leistung kommen von den drei Herstellern Chevrolet, Honda und Lotus.
Hardcore Fans
Die lokalen Krankenhäuser mussten sich diesmal nicht mit verletzten Rennfahrern beschäftigen, sondern konnten sich so ganz auf Hitzeopfer konzentrieren. Heiße Temperaturen, das stimmungsvolle Rennen und üppiger Biergenuss setzten vielen der 400.000 Zuschauer zu. Tausende verschafften sich immer wieder vor einem der 78 Luftbefeuchter, groß wie Flugzeugpropeller, leichte Abkühlung. Viele campen rund um den Kurs und die Hardcore Fans in der Snake Pit machen die 24-Stunden-Rennen vom Nürburgring vergessen. Indianapolis ist eine andere Welt.
Wer die Indy 500 gewinnt, wird zur Legende und reiht sich in die Reihe triumphaler Sieger von Le Mans bis Monaco ein. Wie keine andere Nation auf der Welt zelebrieren die USA ihr großes Rennwochenende. Mit dem Absingen von "Gold Bless America" und der obligatorischen Nationalhymne inklusive Überflug von P-16 Mustangs und F-16 Falcons, wird das Publikum entsprechend eingestimmt. Dann dröhnen die Motoren. 33 Fahrer gehen an den Start. In dem Nudeltopf, deren Start- und Ziellinie immer noch aus Klinkersteinen aus dem Jahre 1935 besteht, werden Geschwindigkeiten von über 380 km/h gefahren.
Noch nie konnte dort ein deutscher Fahrer gewinnen. Auch die drei Frauen im Feld hatten diesmal keine Chance, während der Schotte Dario Franchitti Geschichte schrieb und mit seinem Sieg an den verunglückten Vorjahressieger Dan Wheldon erinnerte: "Was für ein Rennen. Ich glaube, Dan Wheldon wäre stolz darauf." Ihm zu Ehren trugen die meisten Zuschauer während des Rennens weiße Sonnenbrillen, so wie Wheldon sie zu Lebzeiten immer getragen hatte. Indianapolis ist eben genau der richtige Platz für Legenden.
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